trailer: Herr Pentzien, warum sollten wir beachten, woher ein Produkt kommt?
Jonas Pentzien: Weil wir mit unseren Kaufentscheidungen Einfluss auf die Produktionsbedingungen von Unternehmen nehmen können. Das ist Teil unserer Macht als Konsument/innen. Das Problem ist, dass die Lieferketten und die Bedingungen, unter denen produziert wird, oft intransparent sind. So ist es für uns meistens unmöglich, nachzuvollziehen, ob das nachgefragte Produkt mit schädlichen Auswirkungen auf unsere Umwelt verbunden ist. Die größte Sicherheit hat man, wenn man selber zum regionalen Bauern fährt.
Lohnt es sich, Güter zu teilen und zu tauschen statt zu kaufen?
Ja, denn unser auf Neuwaren ausgerichtetes Konsumverhalten ist einer der zentralen Treiber der globalen Umweltzerstörung. Wenn wir die Umwelt schützen wollen, dann müssen wir auch unser Konsumverhalten ändern. Ein konkretes Beispiel: Ein Auto in Deutschland steht den Großteil des Tages ungenutzt auf der Straße. Ein Akku-Bohrer wird über seine Lebensspanne durchschnittlich nur 12 Minuten genutzt. Die Formen des Tauschens und Teilens können dabei helfen, solche ungenutzten oder selten genutzten Güter breiter zugänglich zu machen. Im besten Fall, kommt es dadurch zu einer Verringerung des Gesamtkonsums. Was sich positiv auf die Ökobilanz auswirkt.
Was steckt hinter dem Gedanken der Sharing Economy?
Die Idee hinter dem Sharing ist, dass nicht alle Konsument/innen die gleichen Güter besitzen müssen, sondern nur dann auf ein Gut zugreifen, wenn sie dieses tatsächlich benötigen. Solche Formen des Sharing hat es immer schon gegeben. Die Ausbreitung des Internets aber macht es möglich, auch auf globaler Ebene und in deutlich größeren Netzwerken von Individuen kollaborativ zu konsumieren. Das ist das Neue an der Sharing Economy.
Trotzdem beteiligen sich nur Wenige daran. Warum?
Ein Grund ist die Bequemlichkeit. Um auf das Beispiel mit dem Bohrer zurückzukommen: Es ist umständlicher sich auf einer Plattform zu registrieren um einen Bohrer zu leihen, anstatt sich einen zu kaufen und diesen immer verfügbar zu haben. Ein weiteres Problem, das wir in unseren Forschungen identifiziert haben, ist das Zweifeln an der Vertrauenswürdigkeit der anderen Sharer. Bewertungssysteme auf Plattformen helfen hier nur bis zu einem gewissen Grad. Jedoch muss auch konstatiert werden, dass die Idee des Peer-to-Peer-Sharing in der Gesellschaft grundsätzlich sehr positiv bewertet wird. Es gibt noch viel Potenzial für eine Ausbreitung dieser Praktiken.
Welche Sharing Communities bewerten Sie als gut?
So pauschal lässt sich das nicht beantworten. Dafür muss zuerst definiert werden, was wir unterTauschen und Teilen verstehen. Ist es noch teilen, wenn für den temporären Zugriff auf ein Gut Geld verlangt wird? Das wird in der Forschung derzeit kontrovers diskutiert. Für mich ist Folgendes zentral: Wenn Sharing-Plattformen ein gewinnorientiertes Geschäftsmodell anwenden, werden häufig Anreize dafür geschaffen, neue Güter nur deshalb anzuschaffen, um diese wieder gewinnbringend zu verleihen. Das Geschäftsmodell von airbnb beispielsweise schafft Anreize dazu, eine Wohnung anzumieten oder zu kaufen, um damit Gewinn zu machen. Das ist explizit nicht nachhaltig. Die höchsten Nachhaltigkeitspotenziale liegen demnach klar bei Plattformen, die keine solchen Anreize erzeugen.
Sharing hat auch negative Folgen?
Das kommt darauf an, ob wir von einer kommerziellen Art des Teilens reden, oder von der nicht-kommerziellen Variante. Als klassisches Beispiel gehen wir nochmal auf airbnb ein. Um das Gefühl von Authentizität zu bekommen, mieten Tourist/innen über airbnb Apartments in normalen Wohngegenden. Das ist nicht verwerflich, viele Menschen suchen nach Alternativen zu klassischen Hotels. Aber oft sind diese Gegenden nicht auf Tourismus ausgelegt. Zahlreiche Studien zeigen, dass eine hohe Konzentration von airbnb Wohnungen mit einem Anstieg des Mietspiegels und von Verdrängungsprozessen einhergeht. Das ist vielen Nutzern nicht bewusst. Hier braucht es politische Rahmenbedingungen, die das nachhaltige Teilen ermöglichen, diese Verdrängungsprozesse aber unterbinden. Auch auf Plattformen wie kleiderkreisel hat das Teilen tendenziell nur geringe ökologische Vorteile. Das Problem ist der Rebound-Effekt, d. h., dass der erleichterte Zugang zu gebrauchten und günstigen Waren oft einen Anstieg des Gesamtkonsums mit sich bringt. Oder, dass das durch Sharing gesparte Geld für mehr Reisen ausgegeben wird, was der Umwelt wiederum schadet. Eine alleinige Stärkung des Tauschens und Teilens ohne angemessene politische Rahmenbedingungen zu entwickeln wird also nicht ausreichen, um nachhaltige Konsummuster zu befördern. Sharing muss an gesamtgesellschaftliche Prozesse gekoppelt werden, die Formen des umweltschädlichen Konsums an sich unattraktiv machen.
Was können wir tun, um ökologisch korrekt zu konsumieren?
Allgemein muss sich Jede und Jeder die Frage stellen, was sie oder er in welchem Maß konsumiert. Was man konkret machen kann, ist, sich über die Lieferketten der einzelnen Produkte zu informieren – soweit diese transparent sind. Zudem sollte man nach nachhaltigen Alternativen zu bisherigen Produkten recherchieren und auf diese umsteigen. Es gibt einige Umweltsiegel, die hier helfen können, z. B. der Blaue Engel. Sich zu informieren wird aber nicht ausreichen, um unseren Umwelteinfluss signifikant zu senken. Vielmehr braucht es eine grundlegende Auseinandersetzung mit unserer derzeitigen Konsumkultur. Über kurz oder lang wird kein Weg daran vorbeiführen, dass wir im Sinne eines Minimalismus einfach weniger konsumieren.
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