Wird die „Law-and-Order“-Sau für gewöhnlich von Konservativen und der ultrarechten AfD durchs Dorf getrieben, machen mittlerweile auch Sozialdemokraten regelmäßig mit und scheuen nicht davor zurück, soziale Probleme ebenfalls zu ethnisieren und rassistischen Stereotypen Vorschub zu leisten. Ein gutes Beispiel geben die sogenannten Silvesterkrawalle zum Jahreswechsel 2022/23 ab, als in Berlin Polizeibeamte und Rettungskräfte von meist jungen Randalierern angegriffen wurden. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) gab hernach zu Protokoll: „Wir haben in deutschen Großstädten ein großes Problem mit bestimmten jungen Männern mit Migrationshintergrund, die unseren Staat verachten.“ Weil die Berliner Politik sich damals im Wahlkampf befand, fühlten sich verschiedene aktive und ehemalige Politiker berufen, ihren Senf zu spenden. So sprach der ehemalige Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky, ein notorischer Rechtsausleger in der SPD, von „Anarchie und Pöbel“ sowie einer „Kuscheljustiz“, die den Krawallen Vorschub geleistet habe. Der Hamburger CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries meinte gar einen „Phänotypus: westasiatisch, dunklerer Hauttyp“ am Werk erkannt zu haben, womit er der eh schon völlig überhitzt geführten Debatte einen weiteren ethnisch-rassistischen Dreh verpasste.
Ahmet oder Michel?
Dabei hatte die Berliner Polizei die Krawalle über alle Maßen aufgeblasen: War zunächst von 159, dann von 145 Verdächtigen die Rede, blieben am Ende 38 übrig, die dann auch noch mehrheitlich männlich, minderjährig und Deutsch waren. Höhepunkt der Infamie war dann der Antrag von Politikern der CDU im Berliner Abgeordnetenhaus, die die Vornamen der Täter erfahren wollten. Ein Ahmet mit deutschem Pass ist in dieser Blut-und-Boden-Logik halt was anderes, als ein deutscher Michel.
Während Angriffe auf die Polizei — als Inhaberin des staatlichen Gewaltmonopols — noch in einer gewissen rebellischen Logik zumindest nachvollziehbar scheinen, stellen Angriffe auf Rettungskräfte und Feuerwehrleute den schockierenderen Aspekt der Krawalle dar. Insgesamt ist das Phänomen männlich-jugendlicher Gewalt aber nicht neu. In den 1950ern haben die sogenannten Halbstarken Tanzlokale kurz und klein geschlagen, später folgten „Mods“ und „Rocker“ sowie „Punks“ und „Skins“.
Halbstarke gestern und heute
Weitet man vor diesem Hintergrund das Objektiv auf die Silvesterkrawalle, wird klar, dass es sich keineswegs um ein ethnisches oder kulturelles Phänomen islamisch geprägter Migrantenkinder handelt. Genauso wenig handelt es sich um ein für Berlin spezifisches Problem oder um eines, das durch Abschottung zu beheben wäre. Im Diskurs über die Silvesternacht spiegelt sich vielmehr der direkte Gegenentwurf zum kleinstädtisch geprägten bundesrepublikanischen Selbstbild, wenn junge, randständige, post-migrantische Männer aus armen Großstadtvierteln randalieren. Voller angstvoller Faszination bei gleichzeitiger Unkenntnis ihrer Lebensrealität werden planlose Checker mit Bengalos zu organisierten Gangs, Gegnern „unserer“ Werte, ja, zu Verächtern des Staates erklärt. Weithin unbemerkt dürfte hingegen geblieben sein, dass in derselben Silvesternacht im sächsischen Borna Polizisten von rund 200 Unbekannten unter „Sieg Heil!“-Gegröle angegriffen oder im bayerischen Ostheim vor der Rhön aus einer Party heraus Einsatzkräfte mit Flaschen und Böllern attackiert wurden.
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