Im Sommer 2023 machte eine Meldung die Runde, wonach die Passagierin eines Flugs von Düsseldorf nach London den gesamten Vorrat an Erdnusspackungen aufkaufte. Sie hatte Angst, wiederholt einen anaphylaktischen Schock zu erleiden, sobald an Bord Erdnüsse verzehrt werden. Das Flugpersonal hatte ihr im Vorfeld ein Entgegenkommen verweigert. Liest man die (dreizehn) Leser:innen-Meinungen zu dem Vorfall auf der Onlineausgabe der Süddeutschen Zeitung, dann äußert sich der Großteil gereizt verständnislos: Man verbucht ein Erdnussverbot an Bord als „anmaßend“ und „übertrieben“ und wolle sich nicht, Obacht: „tyrannisieren“ lassen. Und überhaupt, wehret den Anfängen: Wohin soll das führen, wenn „Minderheiten, aus welchen Gründen auch immer, Mehrheiten unterjochen“? Andere unterstellen derlei „Wesen“, lediglich um „Aufmerksamkeit“ buhlen zu wollen oder verorten die Allergie als Luxusproblem: „Für eine derart exklusive Umgebung“ müsse man sich „eben andere exklusive Transportmöglichkeiten suchen“. Zur Erinnerung: Es geht hier darum, für die Dauer eines Kurzstreckenflugs auf Erdnüsse zu verzichten.
Alle sind in der Minderheit
Das kleine Meinungsbild ist natürlich nicht repräsentativ. Dennoch passt es in die Zeit. Eine Zeit, in der Mitmenschen auf Allergiker zunehmend allergisch reagieren. Eine Zeit, in der fordernde Menschen geforderte Menschen überfordern, wobei die einen häufig pauschal zu viel fordern und die anderen oft pauschal gar nicht erst gefordert werden möchten. Die überforderte Gemeinschaft, in der Minderheiten lauter werden und Mehrheiten trotzen. Dabei vergisst man, dass jede und jeder die ultimative Minderheit darstellt: Jeder Jeck ist anders, feiert seine Individualität und persönliche Freiheit ab – will aber nicht allein sein. Also arrangiert sich der soziale Mensch und sortiert sich ein in den Gesellschaftsbund. Dieser Bund wiederum bröckelt zusehends, in ohnehin toxischen Zeiten, die unserer Gesundheit zusetzen, nicht zuletzt durch Lebensmittel, die Lebensmittelallergien forcieren. Weichmacher, Mikroplastik, Kosmetikzusätze gelangen schleichend in unsere Körper und machen uns krank. Während sich Fordernde und Geforderte munter die Köpfe einhauen, wird die Industrie nicht hinreichend in die Verantwortung genommen und profitiert doppelt, wenn sie uns Dinge verkauft, die uns erst krank machen und dann Mittel, die dieses Leiden lindern sollen. Zugleich bleibt das Leid von Randgruppen wenig profitabel und Linderung entweder in weiter Ferne oder nicht erschwinglich. Insofern ein Leiden überhaupt diagnostiziert wird – was mitunter ganz vom Engagement einzelner Ärzt:innen abhängt. Und über allem: ein krankendes Gesundheitswesen.
Zuhören statt Feindschaft
Wie auch immer: Nussallergie, Glutenunverträglichkeit, Histaminintoleranz, Heuschnupfen – Tendenz steigend: Das soziale Miteinander erfordert immer mehr Kompromisse, wie bei so vielen Diskussionen unserer Zeit, vom Gendern über kulturelle Aneignung bis hin zur Klimarettung. Dabei wäre der Sache schon geholfen, wenn beide Seiten einander erstmal zuhören und sich in das Gegenüber hineinversetzen, anstatt es zum Feind zu erklären. Zuhören, durchatmen, wirken lassen – vielleicht erledigt sich das mit den Erdnüssen an Bord dann ganz von selbst. Zumal Ausnahme-Krankheiten immer mehr zur Regel werden: Wie arrangieren wir uns wohl, wenn Menschen ohne Allergie künftig die Minderheit bilden? Nun, vielleicht rettet uns ja ausgerechnet der alte Ültje-Mann: „Kaum steh' ich hier und singe / Wird wieder alles gut / Sie hören auf zu schreien / Und haben neuen Mut.“ Na bitte.
GANZ SCHÖN EMPFINDLICH - Aktiv im Thema
daab.de | Der Deutsche Allergie- und Asthmabund ist Interessenvertretung gegenüber der Gesundheitspolitik,, wirkt als Verbraucherschutz und bietet Beratungen an.
allergieinformationsdienst.de | Der vom Bundesgesundheitsministerium unterstützte Allergieinformationsdienst bietet „wissenschaftlich geprüfte Information aus allen Bereichen der Allergieforschung und Allergologie“ in verständlicher Form.
tk.de/techniker/magazin/life-balance/aktiv-entspannen/stress-regulieren-2036104 | Tipps zum Umgang mit Stress.
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Zeit des Verlangens
Intro – Ganz schön empfindlich
„Wie eine Allergie, die keine ist“
Teil 1: Interview – Allergologin Petra Zieglmayer über den Umgang mit Histaminintoleranz
Keine Subventionen gegen Mensch und Natur
Teil 1: Lokale Initiativen – Die Schutzgemeinschaft Fluglärm Dortmund – Unna
Ungeschönte Wahrheiten
Teil 2: Leitartikel – Rücksicht zu nehmen darf nicht bedeuten, dem Publikum Urteilskraft abzusprechen
„Meine Freiheit als Rezipient wird vergrößert“
Teil 2: Interview – Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich über Triggerwarnungen in Kunst und Kultur
Vorsicht Kunst!
Teil 2: Lokale Initiativen – Der Kölner Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler
Armut ist materiell
Teil 3: Leitartikel – Die Theorie des Klassismus verkennt die Ursachen sozialer Ungerechtigkeit und ihre Therapie
„Solche Tendenzen sind nicht angeboren“
Teil 3: Interview – Sozialpsychologin Fiona Kalkstein über Autoritarismus und Demokratiefeindlichkeit
Opfer nicht allein lassen
Teil 3: Lokale Initiativen – Der Weisse Ring Wuppertal hilft Menschen, die unter Kriminalität und Gewalt leiden
Alltag ohne Hindernisse
Städtische Barrierefreiheit – Europa-Vorbild Schweden
Von der Barbarei der Debatte
Natürlich kann man vermeiden, dass irgendwer Dinge hört, gegen die er allergisch ist – Glosse
Schulenbremse
Teil 1: Leitartikel – Was die Krise des Bildungssystems mit Migration zu tun hat
Rassismus kostet Wohlstand
Teil 2: Leitartikel – Die Bundesrepublik braucht mehr statt weniger Zuwanderung
Zum Schlafen und Essen verdammt
Teil 3: Leitartikel – Deutschlands restriktiver Umgang mit ausländischen Arbeitskräften schadet dem Land
Nostalgie ist kein Zukunftskonzept
Teil 1: Leitartikel – Die Politik Ludwig Erhards taugt nicht, um gegenwärtige Krisen zu bewältigen
Aus Alt mach Neu
Teil 2: Leitartikel – (Pop-)Kultur als Spiel mit Vergangenheit und Gegenwart
Glücklich erinnert
Teil 3: Leitartikel – Wir brauchen Erinnerungen, um gut zu leben und gut zusammenzuleben
Werben fürs Sterben
Teil 1: Leitartikel – Zum Deal zwischen Borussia Dortmund und Rheinmetall
Es sind bloß Spiele
Teil 2: Leitartikel – Videospiele können überwältigen. Wir sind ihnen aber nicht ausgeliefert.
Das Spiel mit der Metapher
Teil 3: Leitartikel – Was uns Brettspiele übers Leben verraten
Europäische Verheißung
Teil 1: Leitartikel – Auf der Suche nach Europa in Georgien
Demokratischer Bettvorleger
Teil 2: Leitartikel – Warum das EU-Parlament kaum etwas zu sagen hat
Paradigmenwechsel oder Papiertiger?
Teil 3: Leitartikel – Das EU-Lieferkettengesetz macht vieles gut. Zweifel bleiben.
Vom Mythos zur Mülldeponie
Teil 1: Leitartikel – Wie der Mensch das Meer unterwarf
Friede den Ozeanen
Teil 2: Leitartikel – Meeresschutz vor dem Durchbruch?