trailer: Frau Kalkstein, Sie sind Co-Autorin der Leipziger Autoritarismus-Studie, die unter anderem die Verbreitung von rechtsextremem Denken erforscht. Wie hängen Autoritarismus und Rechtsextremismus zusammen?
Fiona Kalkstein: Unter dem Begriff des Rechtsextremismus werden bestimmte Einstellungen erfasst, der Autoritarismus hingegen ist ein Konstrukt, das auch emotionale Bedürfnisse berücksichtigt. Es handelt sich beim Autoritarismus also vielmehr um eine Neigung, die beinhaltet, dass man sich nach Stabilität und Autoritätsfiguren sehnt, die einem Orientierung bieten. Daraus entsteht ein Hang zu autoritären Verhältnissen. Menschen des autoritären Typus fühlen sich eher wohl, wenn alles wohl geordnet ist und es klare Hierarchien gibt. Diese Tendenz muss nicht im Rechtsextremismus enden, aber es gibt eine natürliche Nähe zwischen den beiden – wenn wir Menschen mit rechtsextremen Einstellungen befragen, stellen wir fest, dass sie häufig auch einem autoritären Typus angehören.
Die Studie untersucht Rechtsextremismus und Autoritarismus. Warum nennt der Titel „Autoritarismus-Studie“ nur den einen Aspekt?
Die Leipziger Autoritarismus-Studie besteht seit dem Jahr 2002, bis 2018 hieß sie „Leipziger Mitte-Studie“. Obwohl wir immer rechtsextreme Tendenzen untersucht haben, ist die Betonung des Autoritarismus seit der Umbenennung nicht zufällig: Wir versuchen damit eine kritische Distanz zum Begriff des Rechtsextremismus aufrechtzuerhalten. Während dieser Begriff hilfreich ist, da es ein Alltagsverständnis davon gibt, worum es in etwa geht, ist er aus demselben Grund auch problematisch. Er impliziert, dass es eine gesellschaftliche Mitte gibt, die immun gegen rechtsextremes Gedankengut ist, weil dieses nur an den Rändern der Gesellschaft – eben den Extremen – vertreten wird. Außerdem setzt die Extremismustheorie, aus der der Begriff stammt, in der Regel Rechts- und Linksextremismus gleich. Wir vertreten hingegen die Ansicht, dass es sich dabei um sehr unterschiedliche Phänomene handelt.
Die Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung von 2023 machte Schlagzeilen mit ihren Ergebnissen dazu, wie verbreitet rechtsextremes Gedankengut ist. Zu welchem Ergebnis kommt Ihre Studie?
Unsere letzte Befragung stammt aus dem Frühjahr von 2022, auch wir haben die Verbreitung rechtsextremer Einstellungen erhoben. Unser Ergebnis war, dass die Zustimmungswerte zu einem sogenannten „manifest rechtsextremen Weltbild“ gesunken sind – es lässt sich hier fast schon von einem Ausreißer sprechen im Vergleich zu 2020. Seit 2016 können wir außerdem verzeichnen, dass die Zustimmung zur sogenannten „autoritären Aggression“ – das ist die Aggression gegen Schwächere – ebenfalls kontinuierlich sinkt, wenn sie auch mit einer Zustimmungsrate von knapp 50 Prozent immer noch weit verbreitet ist. Gleichzeitig sehen wir einen Anstieg bei Ressentiments wie der Muslimfeindlichkeit und dem Antiziganismus, also dem Rassismus gegen Sinti und Roma. Teilweise liegt die Zustimmung im Vergleich zu 2020 sogar um bis zu zehn Prozentpunkte höher. Ein interessanter Punkt sind außerdem unsere Ergebnisse hinsichtlich der sogenannten „latenten Zustimmung“ im Bereich des Rechtsextremismus und des Autoritarismus. Auch hier sehen wir eine Zunahme – wichtig ist aber, zu betonen, dass es dabei nicht um eine unterdrückte Zustimmung geht, sondern vielmehr um die mangelnde Abgrenzung gegenüber bestimmten Aussagen. Latente Zustimmung ist dadurch ein Zustimmungspotenzial. Gerade in Krisenzeiten kann diese latente Zustimmung aber in manifeste Zustimmung umschlagen.
„Krise des Neoliberalismus“
Wie erklären Sie diese Resultate, und wie hängen sie mit der wachsenden Zustimmung zu rechten Parteien zusammen?
Wir befinden uns aktuell in einer sehr krisenhaften gesellschaftlichen Situation. Ich würde diese Krise auch als systemische Krise des Neoliberalismus deuten, so wird sie auch von einigen Ökonomen interpretiert. Der Neoliberalismus kann keine adäquaten Antworten mehr auf gesellschaftliche Probleme wie den Klimawandel liefern. Solche Krisenmomente sind immer eine Quelle enormer Verunsicherung – und das können wir auch aktuell beobachten, wenn sich immer mehr Menschen von den etablierten Parteien abwenden. Den Erfolg der AfD würde ich jedoch auch damit begründen, dass es ohnehin immer schon Menschen gibt und gab, für die Stabilität und Führung ein zentrales Bedürfnis darstellt. In der Vergangenheit hat die Bundesrepublik für viele die Rolle einer abstrakten Autorität eingenommen, mit der man sich identifizieren kann. Da aber wichtige Merkmale dieser stabilen Republik wie zum Beispiel eine starke Wirtschaft zu bröckeln beginnen, empfinden einige Menschen nun einen starken Stabilitätsverlust. Gerade in solchen Momenten, in denen auch der Ruf nach personellen Autoritäten stärker wird, können Parteien wie die AfD ein ideologisches Angebot machen. Und dabei hat in gewisser Hinsicht leichtes Spiel, denn sie spricht reale Probleme an – sonst wären sie gar nicht so erfolgreich.
Woher kommen diese autoritären Neigungen?
Solche Tendenzen sind natürlich nicht angeboren. Sie sind vielmehr Ausdruck autoritärer gesellschaftlicher Dynamiken. Gerade frühe Erfahrungen mit Autoritätspersonen spielen hierbei eine große Rolle, weil sie den Grundstein für die eigenen Lösungsansätze bei Autoritätskonflikten legen. Aber diese Konflikte hören natürlich nicht bei den eigenen Eltern auf; sie gehen weiter im Kindergarten, in der Schule, in Ausbildungs- und Lohnarbeitsverhältnissen und an Universitäten.
„Ungerechtigkeiten können nicht einfach durch Demokratieerfahrungen ausgeglichen werden“
Wie kann die Gesellschaft darauf reagieren?
Ich denke, dass wir eine demokratische Kultur in allen gesellschaftlichen Institutionen brauchen – und das von klein auf. Wie man das im Einzelnen konkret löst, kommt natürlich auf die Institution an: Sei es die Kita, die Schule oder der Sportverein. Dabei sollte es nicht nur um demokratische Bildung gehen, also das theoretische Verständnis, was eine Demokratie ist, sondern um konkrete Demokratieerfahrungen: Menschen müssen erleben können, was es heißt, wenn sie demokratisch mitbestimmen können. Das ist eine große Herausforderung, da wir in gesellschaftlichen Verhältnissen leben, in denen die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer, der Anteil an „working poor“ – Menschen, die arbeiten und trotzdem nicht davon leben können – nimmt immer weiter zu, um nur einige Beispiele zu nennen. Solche Ungerechtigkeiten können natürlich nicht einfach durch Demokratieerfahrungen in Kitas ausgeglichen werden. Dafür müssen sich andere Lösungen finden.
„Auch autoritäre Tendenzen unter Liberalen befeuern eine Polarisierung der Gesellschaft“
Die Studie erfasst auch antifeministische Tendenzen. Warum ist das relevant?
Es lässt sich zeigen, dass der Antifeminismus ein fester Bestandteil von reaktionären Ideologien ist und das schon seit der Weimarer Republik und davor. Es gibt daher ebenfalls Zusammenhänge zwischen antifeministischen und rechtsextremistischen Einstellungen, die wir zu ergründen versuchen. Gerade in der letzten Erhebung von 2022 haben wir diesen Zusammenhang sehen können: Antifeministische Tendenzen korrelieren sowohl mit Rechtsextremismus als auch mit dem Autoritarismus.
Auch antifeministische Tendenzen nehmen zu. Hier lautet ein häufiger Vorwurf, z.B. in der Debatte um das Gendern, dass Feminist:innen eine Mitschuld tragen, da sie zu radikale Forderungen stellen. Wie bewerten sie das?
Das ist natürlich Unsinn. Wir sehen auch historisch, dass der Antifeminismus immer auf Emanzipationsbewegungen reagiert. Seine eigentlichen Ziele verschieben sich dabei, im 19. Jahrhundert war es zum Beispiel noch der Widerstand gegen das Frauenwahlrecht. Nach der Logik dieses Vorwurfs könnte man dann auch sagen: „Das Frauenwahlrecht war schuld am Aufstieg der Nazis“. Gleichzeitig kann man feststellen, dass autoritäre Tendenzen auch beispielsweise unter Befürwortern des Genderns existieren. Es gibt also durchaus Menschen mit progressiver Ausrichtung, die das autoritäre Verlangen haben, ihre Einstellungen anderen gegenüber durchzusetzen. Diese Erkenntnis finde ich wichtig, damit die Kritik am Autoritarismus nicht einfach ausgelagert wird, nach dem Motto „Wir sind die Guten, bei uns gibt es das nicht“. Das stimmt nämlich schlicht und einfach nicht. Auch autoritäre Tendenzen unter Liberalen befeuern eine Polarisierung der Gesellschaft, die darauf hinausläuft, dass gesellschaftlichen Konflikte ausgetragen werden, indem sich zwei Lager auf autoritäre Art und Weise bekämpfen. Diese Dynamik wird dann auch schnell eskalativ.
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