2022 stieg die Zahl der Straftaten das erste Mal seit fünf Jahren wieder an – um deutliche 11,5 Prozent. Vor allem Wohnungseinbrüche, Laden- und Taschendiebstähle haben zu dieser Zahl beigetragen. Auch Sexualdelikte und Fälle häuslicher Gewalt häuften sich seit Beginn der Covid-19-Pandemie. Vom ersten Halbjahr 2022 bis zum ersten Halbjahr 2023 verzeichnete das Bundeskriminalamt (BKA) zudem einen Anstieg der Gewaltkriminalität um 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Derartige Statistiken schweigen von den Spuren, die Verbrechen bei Betroffenen hinterlassen.
Opfer brauchen mehr Ansprechpartner
„Persönliche Zuwendung ist unfassbar wichtig“, erklärt Klaudia Duhr. Die ausgebildete Opferberaterin arbeitet seit zehn Jahren bei der Wuppertaler Stelle der bundesweiten Opferschutzorganisation Weisser Ring und setzt sich dafür ein, dass sich Opfer von Straftaten nicht allein gelassen fühlen. Als pensionierte Kriminalbeamtin hat sie Erfahrung in Verbrechensbekämpfung und -prävention. Die mangelnde staatliche Unterstützung für Opfer frustriert sie. „Die polizeiliche Aufgabe galt in erster Linie der Strafverfolgung, nicht den Opfern“, erklärt sie. „Während meiner Tätigkeit als Kriminalbeamtin habe ich immer wieder Hilflosigkeit und Verzweiflung der Opfer erlebt, die nicht wussten, wie es nach der Straftat weitergeht“. Es fehle auch heute an Ansprechpersonen, die sich mit den Sorgen und Ängsten der Betroffenen beschäftigen und sie dabei unterstützen, mit den psychischen Verletzungen umzugehen, die mit einer Straftat einhergehen.
„Auch Diebstähle können traumatisierend sein“, berichtet Duhr. Sie hilft Geschädigten auch dabei, eine Strafanzeige zu stellen, je nach Fall übernimmt der Weisse Ring auch die Kosten für eine juristische Erstberatung. „Staatliche Opferhilfe ist nach wie vor unzureichend und wird auf Länderebene zum Beispiel durch den polizeilichen Opferschutz sowie weitere nichtstaatliche Organisationen wie dem Weissen Ring durchgeführt“, erklärt Duhr.
Diebstahl, häusliche Gewalt, Bandenkriminalität
Insbesondere Frauen melden sich bei Klaudia Duhr. „Eines der größten Probleme ist häusliche Gewalt“, berichtet sie. Frauen, die über das Opfertelefon Unterstützung suchen, seien teils seit langem von Gewalt durch ihre Partner betroffen. Opferberater:innen helfen dabei, schwierige Entscheidungen zu treffen, oft geht es nicht nur darum, den Partner zu verlassen, sondern auch darum, die eigenen Kinder zu schützen oder Verbindung mit einem Frauenhaus aufzunehmen. Viele Frauen, sie sich an Duhr wenden, seien zudem von Stalking betroffen, fortgesetzter Verfolgung oder Belästigung. „Stalking-Opfer leiden oft unter Depressionen und Angstzuständen“, erklärt Duhr. Das verlorene Sicherheitsgefühl wiederherzustellen ist deshalb ein elementarer Bestandteil der Opferhilfe – auch bei Männern, die ebenfalls verstärkt Misshandlungen erfahren und für die es ebenfalls Zufluchtshäuser gibt.
Ein weiteres Problem sei Jugendkriminalität. Junge Menschen, die in Bandenkriminalität verwickelt wurden, suchten die Opferhilfe auf, auch gemeinsam mit ihren Eltern. Schlagzeilen machte unter anderem die sogenannte Gucci-Gang: Zwei 14-jährige Mitglieder verletzten 2019 einen 70-jährigen Rentner lebensgefährlich, da er sie wegen Lärmes aus dem Hausflur vertreiben wollte. Viele Jahre lang war der Mann aufgrund des Vorfalls auf Pflege angewiesen, mittlerweile ist er verstorben. Derartige Fälle zeigten, wie bedeutend sowohl Opferhilfe als auch Gewaltprävention seien, so Duhr, zum Beispiel Projekte in Kindergärten und Schulen. „Viele Projekte wurden durch Corona ausgebremst“, erklärt sie. Sie sollen nun in die Tat umgesetzt werden.
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