Mit „Klassismus“ werden Diskriminierungen aufgrund sozialer Herkunft bezeichnet. Autoren und Wissenschaftler, die sich auf Klassismus beziehen, wollen diese soziale Diskrimierung analog zu Rassismus und Sexismus verstanden wissen. Soll aber die Ursache von Ungleichheit und deren Aufrechterhaltung erklärt werden, steckt der Klassismus in der Sackgasse. Der Befund lautet regelmäßig: Armut, Ungleichheit und ihr Fortbestand seien „Ergebnis von Diskriminierung, sozialer Benachteiligung und Ausgrenzung“, wie die Pädagogin Heike Weinbach zusammenfasst. Bleibt aber der „stumme Zwang der ökonomischen Verhältnisse“ (Marx) unverstanden, der ja erst die Grundlage für Ungleichheit und die Ideologie der Ungleichwertigkeit liefert, dann schütten Vertreter des Klassismus mit dem Bade das Kind aus. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Menschen sind überproportional Opfer von Diskriminierung, sozialer Benachteiligung und Ausgrenzung, wenn sie materiell arm sind!
Der Anti-Klassismus, der im Fahrwasser postmoderner Sprachkritik auch auf „sprachpolizeiliche“ Methoden setzt, stellt darum keinen Ausweg dar. Anti-Klassismus will, dass auf stigmatisierende, diskriminierende Begriffe wie „Unterschicht“ verzichtet wird. Stattdessen solle lieber von „Armutsklasse“ gesprochen werden. Doch damit ändert sich weder an der Ungleichheit etwas, noch wird an den die Ungleichheit produzierenden sozio-ökonomischen Strukturen gerüttelt. Anti-Klassismus gibt sich vielmehr mit der vagen Hoffnung zufrieden, neue Begriffe schüfen neue Verhältnisse.
Doch angesichts von Kampagnen-Medien wie der Springer-Zeitung Bild, muss diese Hoffnung zerplatzen. Vor Einführung des Bürgergelds trommelten Ende 2022 Politiker von CDU, FDP und AfD im Verbund mit der Bild gegen die „Reform“: „Wird die Sozialhilfe zur Faulheitshilfe?“ Oder: „Ist der Arbeiter bald der Dumme?“, lauteten Schlagzeilen. Bei hart arbeitenden und schlecht entlohnten Beschäftigten sollten „Jobverweigerer“ als Feind markiert werden, weil die es sich angeblich mit 502 Euro monatlich in der sozialen Hängematte bequem machten. Ende Dezember 2023 wurde angesichts der Erhöhung des Bürgergeld-Satzes auf 563 Euro von denselben Akteuren dieselbe Sau erneut durchs Dorf getrieben, indem sie sogenannte „Totalverweigerer“ ins Visier nahmen. Nach dem alten römischen Rezept „Teile und herrsche“ wird Niedriglöhnern das Feindbild der Erwerbslosen präsentiert – obwohl beide Gruppen derselben sozio-ökonomischen Klasse angehören, sprich: im selben Boot sitzen. Die tatsächlichen Nutznießer der diskriminierenden sozio-ökonomischen Verhältnisse, namentlich saturierte Wirtschaftsbosse, überbezahlte Manager oder skrupellose Spekulanten, geraten so aus dem Blick. Gerade mal 0,6 Prozent der 3,9 Millionen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten gelten als „Totalverweigerer“ – rund 23.000 Menschen. Laut Sozialverbänden haben die meisten von ihnen mit großen Problemen wie psychischen Störungen oder Suchterkrankungen zu kämpfen.
Die SPD, die 2021 mit dem Begriff „Respekt“ Wahlkampf betrieben hatte, ließ sich von Bild weichkochen und stimmte in den Chor mit ein. „Kein Bürgergeld mehr für Jobverweigerer“, triumphierte die Zeitung Ende Dezember 2023. Und weiter: „Exklusiv! Knallhart-Plan von Arbeitsminister Hubertus Heil“. Dass es Bundeskanzler Olaf Scholz und seiner SPD jemals außerhalb von PR- und Wahlkampfstrategie um Respekt ging, muss bezweifelt werden. Aber wie schon der erste BRD-Kanzler, Konrad Adenauer (CDU), gesagt haben soll: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?
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