Bochum, 10.03. – Mit der Doku „Grünkohl, Gifte & Geschäfte“ lud das Endstation.Kino in Kooperation mit dem Bahnhof Langendreer zu einem eher ungewöhnlichen, doch wichtigen Filmgespräch ein: Der WDR-Film thematisiert den PCB-Skandal im Unternehmen Envio AG und den im Jahr 2012 beginnenden Prozess, der noch immer keinen Abschluss findet. Als 2010 der Öffentlichkeit bekannt wurde, dass die Giftkonzentration auf dem Betriebsgelände des Trafoverwerters im Dortmunder Hafen die zulässigen Werte überschreitet und das Blut der Mitarbeiter um vielfach erhöhte PCB-Werte verzeichnete, erstattete die Bezirksregierung Arnsberg Strafanzeige gegen die Envio AG. Doch die Envio AG weist im Verfahren die Schuld von sich und verweist darauf, dass die PCB-Belastung der Mitarbeiter sich ebenso gut durch deren ungesunde Lebensführung erklären lassen könne. Die Betroffenen, die im Verfahren als Nebenkläger auftreten, empfinden dies als unverschämte Unterstellung. Ebenso auch die Besucher im Endstation.Kino, die im Anschluss des Films mit der Bürgerinitiative für die Aufklärung des PCB Skandals in Dortmund über die Möglichkeiten der strafrechtlichen Verfolgung und über Löcher im Arbeitsschutz sprechen.
Das größte Problem im Prozess sei, so Michael Hillebrandt von der Bürgerinitiative, dass eine Erkrankung als Folge von PCB noch nicht als Berufskrankheit anerkannt sei. Das ziehe im Moment den Prozess, der im Mai 2012 begann, in die Länge. Nach dem neusten Stand steht eine Entscheidung nun am 3. Juli an. Dann werden die 51 Nebenkläger, die ehemaligen Mitarbeiter von Envio erfahren, ob ihnen Recht zugesprochen wird und ob sie zumindest eine finanzielle Entschädigung für ihren gesundheitlichen Schaden, der nicht nur sie selbst sondern die ganze Familie betrifft, erhalten. Bis dahin müsse jedoch geklärt werden, ob der Tatbestand der Körperverletzung seitens der Envio AG erfüllt worden ist. Die Envio AG hat nämlich in zynischer Weise insoweit Recht, dass gesundheitliche Schäden tatsächlich immer andere Ursachen haben können und eine Erkrankung als alleinige Folge von PCB schwer nachzuweisen ist. Doch die regelmäßigen Blutuntersuchungen lassen kaum einen anderen Schluss zu. Die Werte der ehemaligen Mitarbeiter waren unmittelbar nach Entdeckung des Skandals erheblich höher als nun nach 3 Jahren.
Die Bürgerinitiative sieht dem Prozessende trotz aller Schwierigkeiten positiv entgegen. Es sei so gut wie auszuschließen, dass kein Vergleich geschlossen werde und es stattdessen zu einem Freispruch käme. Doch gesetzt dem Fall, dass Envio nur der Verstoß gegen behördliche Auflagen zur Last gelegt werden kann, nicht aber die Körperverletzung, droht allein eine Geldstrafe und keine Freiheitsstrafe. Für die ehemaligen Angestellten wäre das eine Katastrophe, zumal ohnehin nur sie selbst durch den Vergleich abgedeckt wären, nicht aber die Familienangehörigen, die auch von der PCB-Belastung betroffen sind. Dass die Untersuchung des Skandals nicht weit genug reicht, findet auch die Bürgerinitiative.
Der Schaden des umliegenden Geländes, wo Schrebergärtner Gemüse anpflanzen und Kinder spielen, sei nicht im vollen Maße erfasst und dessen Sanierung werde auch nicht Envio in Rechnung gestellt. Zudem müsse geklärt werden, an welcher Stelle Behörden und Politik ihre Pflicht vernachlässigt haben und so Envio zu lange und unbeaufsichtigt gewähren ließen. Ohnehin sei es längst überfällig, Arbeitsschutzstandards für Leiharbeiter, die z.B. von Envio gezielt eingesetzt wurden, einzuführen. Dass auch in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein für derartige Mängel geweckt werde, dafür sei die Dokumentation „Grünkohl, Gifte & Geschäfte“, für deren Verbreitung sich die Initiative einsetzt, hervorragend geeignet.
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