Zur Person: David Schraven (45) ist Journalist und ehemaliger Leiter des Ressorts Recherche der WAZ. Seit 2014 ist er inhaltlicher Geschäftsführer des gemeinnützigen Recherchezentrums CORRECT!V.
trailer: Herr Schraven, Sie sind inhaltlicher Geschäftsführer von CORRECT!V. Was genau ist CORRECT!V?
David Schraven: CORRECT!V ist ein Recherchezentrum, das heißt, im Fokus steht bei uns nicht die journalistische Vervielfältigung und Recherche, sondern die Recherche als Herz des Journalismus. Wir konzentrieren uns nicht von Formaten kommend auf eine Geschichte, wir wollen nicht eine Zeitungsseite oder Internetseite vollmachen oder einen Fernsehbeitrag vervollständigen. Wir wollen eine Geschichte ausrecherchieren und dann überlegen, in welchen Formaten wir die Geschichte bestmöglich transportieren können. Das kann aber alles Mögliche heißen. Es kann daraus ein Comic werden, eine Reportage oder ein Fernsehbericht, etc. Derzeit arbeiten wir an einem Theaterstück. Weil bei uns immer die Recherche im Mittelpunkt steht, glauben wir, dass wir damit der Aufklärung am besten dienen können.
Ein Gedanke der Epoche der Aufklärung war, dass die Menschen sich des eigenen Verstandes bedienen und durch Bildung und Wissen die bestehenden Ordnungen hinterfragen. Inwiefern trifft dieser Gedanke auf CORRECT!V zu?
Zur Person: David Schraven (45) ist Journalist und ehemaliger Leiter des Ressorts Recherche der WAZ. Seit 2014 ist er inhaltlicher Geschäftsführer des gemeinnützigen Recherchezentrums CORRECT!V.
Wir sind der Aufklärung verpflichtet, aber es geht bei uns nicht darum, dass wir eine bestehende Ordnung hinterfragen möchten oder nicht hinterfragen möchten. Bei uns geht es darum, den Menschen das nötige Wissen vermitteln wollen. Damit sie sich selbst ein Bild machen können. Damit sie selbst verstehen können, wie ihre Umwelt funktioniert, dass sie Probleme erkennen können. Und dann auch vielleicht Lösungen finden können. Wir wollen Menschen ertüchtigen, damit sie selbst handeln können. Und das ist in meinen Augen das wichtigste Element der Aufklärung. Und die muss halt weitergehen.
Welchen Einschränkungen unterliegt die Presse heute? Was ist die größte Herausforderung für die Presse?
Einschränkungen sehe ich keine, die irgendwie relevant sind. Es gibt halt viele Zickereien, es gibt viel Ärger, das ist aber normal glaube ich. Die größte Herausforderung ist, dass wir eine sehr komplexe und immer komplexer werdende Welt immer besser erklären müssen. Um die Menschen zu erreichen, um erklären zu können, was um uns herum passiert, müssen wir sehr sehr viele Instrumente beherrschen. Es reicht nicht mehr aus, wie vor hundert Jahren, mit einer Blockflöte zu pfeifen, sondern wir müssen mittlerweile das gesamte Orchester beherrschen.
Warum ist gerade der investigative Journalismus wichtig?
Investigativ heißt erst mal untersuchend, zur Quelle gehend, nachforschend. Investigativer Journalismus ist deshalb wichtig, weil es heute nicht mehr ausreicht, dass man eine einfache Wahrheit ausplaudert. Um es einmal konkret zu machen: Früher hat man für eine Geschichte einen Beleg gehabt, das waren dann ein oder zwei Seiten aus einem umfangreichen Aktenkonvolut. Heute sind wir in der Lage Aktenkonvolute von mehreren tausend Seiten zu bekommen und mit ihnen zu arbeiten. Die Flut an Informationen müssen wir beherrschen und auswerten können. Das ist das Komplexe an der Arbeit. Da liegt die Herausforderung.
CORRECT!V hat einen eigenen YouTube-Kanal. Dort gibt es Videos sowohl zu verschiedenen Themen und Hintergründen, als auch Tipps zur Recherche und kleine Schulungen. Warum stellt CORRECT!V solche Videos zur Verfügung?
Für uns ist die Aufklärung wichtig. Uns ist es nicht so wichtig die Geschichten weiterzugeben, sondern wir wollen Methoden verbreiten, damit die Menschen selbst für Aufklärung sorgen können. Wir geben nicht nur den Fisch weiter, sondern auch die Angel. Dafür haben wir ein Bildungsprogramm aufgebaut. In der Bildung funktioniert erstaunlicherweise aus irgendeinem Grund YouTube am besten, deshalb haben wir die Videos online gestellt. Wir probieren aus, wie man am besten Wissen vermitteln kann. Unter anderem mit Videos und Ebooks.
Befähigt man so die Menschen zu einer Art Bürgerjournalismus?
Ja. Nein. Bei CORRECT!V ist es so: Wir machen keinen Unterschied zwischen professionellen Journalisten und dem Bürger, der sich für Journalismus interessiert. Man wird zum Journalisten, wenn man gewisse Methoden beherrscht und Erfahrung hat. Nun gibt es aber Menschen, die viel Geld mit Journalismus verdienen, die aber mit unserer Definition von Journalismus nicht viel zu tun haben. Denn im professionellen Journalismus gibt es viele Flaschen. Genauso gibt es super Typen, die nicht journalistisch arbeiten um damit Geld zu verdienen, die aber hervorragende Arbeiten machen. Das Gleiche geht auch umgekehrt: Es gibt Bürgerjournalisten, die überzeugt sind, dass sie gute Arbeit machen, aber nur Mist produzieren. Dann gibt es professionelle Journalisten die ungewöhnlich gut sind. Die alte Grenze, die alleine an der Erwerbsfähigkeit festmacht, ob jemand Journalist ist oder nicht, die halten wir für überholt. Ich glaube da nicht dran.
Was ist bisher der größte Erfolg von CORRECT!V?
Der größte Erfolg bisher ist, dass in Krankenhäusern mehr Desinfektionsstationen stehen. Ich glaube nur Wenige können sagen, dass Geschichten, die sie recherchiert und gemacht haben, dafür gesorgt haben, dass weniger Menschen sterben. Wir haben über die Keimbelastung in Krankenhäusern mit großer Energie viel recherchiert und viele Berichte gemacht . Und es hat sich tatsächlich etwas geändert. In Krankenhäusern wird mehr Wert auf Hygiene gelegt. Dadurch sterben weniger Menschen. Das ist ein Riesenerfolg.
Ein kurzer Ausblick in die Zukunft: Wie wird sich der Journalismus in den nächsten Jahren entwickeln?
Er wird differenzierter werden. Er wird bunter und hoffentlich besser werden. Aber es wird sicher cool.
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