Nazis fotografieren ist einfach und macht Spaß. Und es schärft den Blick für Details, wie die Aufschrift „Identitäre Jugend“ in weißer Schrift auf dem schwarzen Pulli eines höchstens 17-jährigen, der für die NPD die Fahne in der Bochumer Innenstadt hochhielt. Es ist wichtig, so etwas zu bemerken: Die Identitäre Bewegung (IB) gibt sich studentisch-frech aber moderat bis hip – in Wirklichkeit ist sie natürlich Teil einer rechten Einheitsfront von AfD bis NPD und vielleicht sogar etwas weiter. Das ist keine Spinnerei: Die IB steht der AfD nahe und geht Hand in Hand mit den strammen Neonazis der NPD, auch auf dem 1. Mai. Guido Reil, Quoten-Malocher für die AfD in Essen, schüttelt auf Veranstaltungen freundlich Jungs die Hände, die dort in Thor-Steiner-Jacken auflaufen. Die Rechtsradikalen bestreiten, dass sie eine Einheit bilden, doch sie tun es; darin liegt eine Gefahr. Von Mitte-links bis links wird Einigkeit suggeriert, aber man ist zerstritten; darin liegt eine Schwäche. Die Demo des Bündnisses 6. Mai Bochum, ein Zusammenschluss zahlreicher linker Akteure, war ein erster Schritt in eine richtige Richtung.
Über 300 Menschen demonstrierten am Samstag in Bochum gegen Rassismus und für soziale Gerechtigkeit. Es ging darum, diese beiden klassischen linken Themen endlich wieder in eine Klammer zu fassen. Auf dem Platz vor dem Schauspielhaus tummelten sich am Samstagvormittag junge Gewerkschafter, bekannte Gesichter aus der Flüchtlingsarbeit und Geflüchtete selbst, blaue Bänder der jungen Bewegung Pulse of Europe waren zu sehen, und über den Köpfen flatterten Flaggen von Linke bis DKP; interessanterweise nicht der SPD. Seltsam: Initiator der Demo waren die GewerkschafterInnen für den Frieden – eigentlich klassisches SPD-Klientel.
Das ist eigentlich die spannende Frage: Wo war die SPD? Waren ihr die Forderungen der Demonstranten zu radikal? Der Verein der Verfolgten des Naziregimes – Bund der AntifaschistInnen (VVN-BdA) fordert, den Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus, den 8. Mai, zum Feiertag zu erklären. Nein, das kann es nicht sein. Ist es, weil auch die umstrittene Antifa mitlief? Doch vom Schauspielhaus über den Hauptbahnhof zum Husemannplatz – die Demonstration verlief friedlich. Oder liegt es an der Kritik der Protestierenden an den sozialdemokratischen Hartz-Reformen?
Beim Husemannplatz angekommen, wo die Essener Ska-Band Banda Senderos spielte, konnte man Antworten finden. Hier hatte die SPD ihren Wahlkampfstand. Also, Genossen, wo wart ihr? „Wir wollten unseren Wahlkampfstand nicht abbauen“, erklärte Karsten Rudolph, SPD-Landtagskandidat für Bochum. Aber kann man auf einem Protestzug der eigenen Kernklientel nicht auch Wahlkampf betreiben, allein dadurch, dass man Gesicht zeigt? Rudolph: „Hier laufen ja auch Leute vorbei. Wir sind halt pragmatisch.“ Was der Zufall so für Blüten treibt: Wenig später erhoben sich die allerersten SPD-Fahnen unter den Protestierenden. Die spontane Einsicht wurde nicht belohnt: Rudolf Dreßler, SPD-Mitglied und ehemaliger Botschafter Deutschlands in Israel, zeigte am Rednerpult klare Kante gegen die Gesetze, die zu Leiharbeit, befristeten Verträgen und all den anderen Tricks und Kniffen geführt haben. Junge Mitglieder der Linkspartei vergaßen nicht, lautstark kundzutun, wer hierfür verantwortlich war. Die SPD-Fahnen wehten stoisch weiter, aber warum eigentlich? Pragmatismus braucht keine Flagge.
Der NPD-Stand in der Innenstadt war mittlerweile abgebaut, die minderjährigen identitären Helfer wieder bei Mama. Auf dem Husemannplatz wurde die Bühne abgebaut, und später auch der SPD-Wahlstand. Vorher sprach man noch mit Passanten über den Breitbandausbau und abgeschaffte Studiengebühren und darüber, dass die Linke nicht „regierungsfähig“ sei. Man schämt sich für den kleinen, wilderen Bruder. Die AfD schämt sich nicht für Identitäre und die Identitären nicht einmal für die NPD. Es war ein lehrreicher Tag.
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