Essen, 2. März – Ein cineastisches Mahnmal, wie gemacht für diese unruhigen Zeiten. Ein Lehrstück über Rassismus, Verfolgung und Menschenfeindlichkeit. Ein Film, um aus der Geschichte zu lernen, gerade heute, wo viele die Parallelen zum dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte ziehen, manche von „Weimarer Verhältnissen“ sprechen. So in etwa lassen sich die Erwartungen an Hans Steinbichlers „Tagebuch der Anne Frank“ formulieren. „Ich habe Schwierigkeiten damit, diese Parallelen zu ziehen“, sagte Ulrich Noethen (er spielt Annes Vater Otto Frank) auf der NRW-Premiere in der Essener Lichtburg. Tatsächlich: So oder ähnlich hätte der Film auch in jedem anderem Jahr entstehen können. Und das ist gut so: Die erste deutsche Verfilmung des berühmtesten Dokuments der Judenverfolgung ist kein pseudo-erzieherisches Lehrstück geworden, sondern eine zeitlose und persönliche Erzählung vom Großwerden eines 13-jährigen Mädchens.
Selbstverständlich zeigt Steinbichler auch die Diskriminierung der Juden, die Feigheit der Verräter und ganz zum Schluss auch die in keinem Bild fassbare Unmenschlichkeit der nationalsozialistischen Ermordungsmaschinerie. Doch im Kern geht es um Anne (Lea van Acken): Wenn sie aus ihrem Tagebuch liest, blickt sie dem Zuschauer direkt in die Augen, in so vielen Szenen schaut sie in Spiegel, auf der Suche nach sich selbst, wie eigentlich jeder angehende Teenager.
Pubertät im Geheimversteck
Steinbichler inszeniert die Geschichte von Anne und den anderen Bewohnern des Geheimverstecks im Amsterdamer „Hinterhaus“ als eine gelungene Mischung aus Coming-of-Age-Story und Robinsonade. Der Schrecken des Krieges und der Verfolgung spielt, im Vergleich zu Annes pubertärem Aufbegehren gegen die Eltern oder ihrer ersten Liebschaft im Geheimversteck, eine eher untergeordnete Rolle. Ein gelungener Trick: Denn so, wie sich auch die jüdische Familie immer mehr an ihre aussichtslose Situation gewöhnt und in ihrer kleinen Welt im „Hinterhaus“ langsam verdrängt, welcher Schrecken da draußen lauert, so geht es auch dem Zuschauer – der fast vergisst, welch schreckliches Ende diese Geschichte nehmen wird. Umso härter treffen die letzten Szenen in Magen und Herz.
Mit Anne Frank durch die Straßen laufen
Das liegt nicht zuletzt an Hauptdarstellerin Lea van Acken, der es gelingt, Anne Frank wie das aufmüpfige Teenie-Mädchen von nebenan wirken zu lassen. Auch Regisseur Steinbichler zeigte sich auf der Premiere begeistert von der 17-jährigen: „Ich dachte, man könnte eine Anne Frank nicht mehr in Deutschlanbd finden – aber dann kam Lea.“ Wobei die junge Schauspielerin selbst sich der Figur erst einmal behutsam annähern musste: So fing sie selber an, Tagebuch zu schreiben und schrieb auch einige persönliche Briefe, gerichtet an Anne. „Ich habe versucht, mich ihr wie einer Freundin zu nähern“, sagte sie. Hätte sie die Möglichkeit dazu, sie wäre mit Anne Frank am liebsten durch die Innenstädte gelaufen, erzählte van Acken: „Ich hätte es interessant gefunden, was sie über die Menschen denkt.“
Und auch wenn es in dem Film, passend zum Format des Tagebuchs, um das ganz persönliche Erleben Annes geht, wir sie in ihren intimsten Momenten begleiten und sie, was vielleicht nicht ganz passend ist, streckenweise nicht als normales Mädchen, sondern etwas ganz Besonderes inszeniert wird: „Ihr Schicksal steht stellvertretend für viele Leute“, erinnert Noethen. „Es tut gut, demütig zu sein. Und ich bin dankbar, dass ich mitspielen durfte“, sagte er spürbar bewegt.
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