„Deutschland ist eines der komfortabelsten Länder, in denen man leben kann“
26. Januar 2017
Blogger Patrick Hundt über das Reisen und die Rückkehr in den Alltag – Thema 02/17 Weltflucht
trailer: Was verbindest Du mit dem Begriff Eskapismus? Patrick Hundt: Ehrlich gesagt musste ich den Begriff erst mal googlen. Dem Namen nach steckt ja das Wort Flucht darin und das klingt für mich negativ, weil es bedeutet, weg von etwas Schlechtem zu kommen.
Du bist 2012 für neun Monate auf Weltreise gegangen, war das auch eine Art von Flucht? Ich hatte vorher eine Agentur für Online-Marketing gegründet, die Geschäftsführung habe ich mir 50:50 mit einer Freundin geteilt, ungefähr vier Jahre lang. Aber mit der Zeit gingen wir uns nur noch auf den Geist. Da war klar, dass das auf Dauer nicht so weitergehen konnte. Ich war damals flexibler als sie und daher derjenige, der gegangen ist. Ich wollte schon immer eine Weltreise machen, der Zeitpunkt passte und ich wollte auch eine neue Aufgabe finden. Die Reise selbst war keine Flucht, der Weggang aus dem Unternehmen schon.
Ist daraus dann der Reiseblog 101places entstanden?
Patrick Hundt
Foto: Presse
Patrick
Hundt (34) ist Autor und
Blogger. Sein Blog 101places war einer der erfolgreichsten
deutschsprachigen Reiseblogs. Aktuell wohnt er in Leipzig und
betreibt mit einer Freundin den Blog „Healthy Habits“ für
Menschen, die eigentlich glücklich sein müssten.
Genau. Anfangs war das ein Blog für Friends & Family und mir war egal, wie groß das Projekt wird. Aber ich war alleine unterwegs und hatte viel Zeit. Irgendwann hatte ich auch keine Lust mehr, mich regelmäßig hinzusetzen und etwas zu schreiben, was nur fünf Leute lesen. Aufgrund meiner Vorkenntnisse war es dann leicht, weil ich eine Ahnung hatte, wie man eine Website groß macht. Als die Weltreise zu Ende ging war absehbar, dass der Blog Erfolg haben und zu meinem neuen Projekt werden würde.
Du bist in Afrika, Südostasien, Amerika, Australien und Neuseeland gewesen. Hast Du Dich immer gut vorbereitet oder bist Du ins Blaue aufgebrochen? Die Route der Weltreise stand relativ fest, sollte aber eigentlich nur ein halbes Jahr dauern. Nachdem ich das durchgezogen hatte und zurückgekommen bin, haben sich die weiteren Ziele nach und nach ergeben. Ein Freund hat mir zum Beispiel Tallinn empfohlen. Auch Mexiko hatte mich schon länger interessiert. Zu der Zeit waren auch andere Reiseblogger dort, die ich schon kannte und mit denen ich mich dann vor Ort vernetzt habe. Meist hat sich das dann so ein bis zwei Monate vorher ergeben. Die Reisen nach der Weltreise waren also einigermaßen spontan.
Schätzt Du Deine Heimat durchs Reisen heute mehr? Ich habe das oft gemerkt, gerade wenn ich in Entwicklungsländern unterwegs war. In Lateinamerika oder Südostasien war es immer für ein paar Wochen ganz schön, aber dauerhaft leben würde ich dort nicht wollen. Am deutlichsten war mir das allerdings in den westlichen Ländern. Als ich beispielsweise durch die USA gereist bin hatte ich den Eindruck, das Land ist eher auf dem absteigenden Ast.
Bezeichnest Du Deutschland denn als Deine Heimat? Auf jeden Fall. Ich weiß, dass viele digitale Nomaden aus Deutschland abhauen, weil sie das Wetter stört oder die Bürokratie, darüber wird viel gemeckert. Aber ich konnte das nie so richtig nachvollziehen. Ich finde, wer hier unternehmerisch tätig ist, muss ein bisschen bürokratischen Kram erledigen, aber dann läuft es auch. Außerdem hat man dadurch hier auch mehr Rechtssicherheit. Ich kann die Kritik in dieser Hinsicht nicht teilen. Deutschland ist eines der komfortabelsten Länder, in denen man leben kann.
Du hast gerade den Begriff digitale Nomaden verwendet. Was bedeutet er? Digitale Nomaden sind Menschen, die mit dem Laptop bewaffnet um die Welt reisen und überall ihre Arbeit verrichten können.
Du bist viel alleine gereist. Was ist das wichtigste, was Du dabei über Dich selbst gelernt hast? Ich bin ein introvertierter Mensch und genieße es überwiegend, allein zu sein. Ich habe aber gemerkt, dass sich das abnutzt. Es ist irgendwann uninteressant für mich geworden, noch eine Sehenswürdigkeit, noch einen Strand oder Wasserfall zu besuchen, wenn man die Erfahrung mit niemandem teilen kann. Nach insgesamt zweieinhalb Jahren auf Reisen habe ich dann komplett die Lust verloren, alleine unterwegs zu sein. Reisen macht mir heute zu zweit mehr Spaß.
Bist Du deshalb auch nicht mehr als digitaler Nomade unterwegs? Der Hauptgrund war, dass ich zu der damaligen Zeit sehr lange Single war und es mir durch meine Art schwer fällt, schnell mit Menschen warm zu werden. In der digitalen Nomadenszene ist das zwar leicht, aber ich habe das immer als sehr flüchtige Begegnungen empfunden. Ich hatte Phasen, z. B. In Südafrika, wo ich dann länger mit bestimmten Leuten zusammen war. Dann fliegen die wieder woanders hin und der Kontakt reißt ab, was ich als frustrierend empfunden habe. Unterwegs ist es noch schwieriger, Menschen dauerhaft kennenzulernen oder gar eine Beziehung einzugehen. Wenn ich dann wieder länger Zuhause war habe ich gemerkt, dass mir auch dort das soziale Netzwerk flöten geht. Darum bin ich zurückgekommen, habe mich eingegliedert, wieder mehr mit Freunden unternommen und bin auf Partnersuche gegangen.
Dein aktuelles Blogprojekt „Healthy Habits“ beschäftigt sich grob gesagt mit allem, was man sich selbst, seinem Körper und seinem Geist Gutes tun kann. Ist das eine Gegenthese zum Eskapismus? Das passt schon ganz gut. Ich habe es am Anfang nicht so wahrgenommen, aber es hat sich in letzter Zeit so entwickelt, dass ich mir den Alltag möglichst schön zu gestalten versuche, statt ihm zu entfliehen.
Und was bedeutet die Tagline des Blogs „Für Menschen, die eigentlich glücklich sein müssten“? Es ist leicht sich wohlzufühlen, wenn man ständig unterwegs ist und jeden Tag etwas Neues erlebt. Wesentlich schwerer fällt das im Alltag, wenn Routine eintritt. Da sehe ich für mich und auch für viele andere Menschen die Herausforderung, im Alltag zufrieden zu sein, wenn es draußen ständig grau ist und Schnee regnet, wie jetzt gerade.
www.idealist.org | Internationale Jobbörse, die IdealistInnen in nachhaltige Projekte weltweit vermittelt www.101places.de | Reiseblog für Backpacker und digitale Nomaden www.healthyhabits.de | Blog für Menschen, die eigentlich glücklich sein müssten. Bietet Tipps, geistig und körperlich gesunde Gewohnheiten in den Alltag zu integrieren und diesen aktiv zu gestalten, statt ihm zu entfliehen
Thema im März FREMDKÖRPER Nicht Behinderte sind das Problem, sondern die Gesellschaft, in der sie leben Was ist Ihr Handikap? Schreiben Sie uns unter meinung@trailer-ruhr.de
Interview: Maxi Braun
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