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Aus der Serie: Ein Leben, 1997-2010, Farbhandabzuge des Kunstlers (Typ C), 90 x 60 cm
Foto: Knut Wolfgang Maron

„Die Wirklichkeit ist intensiver, als wenn ich etwas inszeniere“

30. Oktober 2012

In seinem Langzeit-Projekt „Ein Leben“ setzt sich Knut Wolfgang Maron mit Krankheit, Gebrechlichkeit und der eigenen Trauer auseinander – Sammlung 11/12

Der Fotograf Knut Maron findet seine Motive voller Vergänglichkeitssymbolik in der Welt des Alltags. In dem Projekt „Ein Leben“ wendet er sich ganz persönlich dem Tod und der Frage zu, was am Ende bleibt: Im Haus seiner 82jährigen Mutter führte er fotografisch Tagebuch über die letzte Phase ihres Lebens. Es entstanden berührende Bilder von körperlicher Zerbrechlichkeit und der sichtbaren Ordnung eines langen Lebens.

trailer: Herr Maron, wie kann man als Fotograf bei so einem Thema eigentlich genügend technischen Abstand gewinnen?
Knut Wolfgang Maron: Inhalt und Technik sind immer eins. Jede Strategie beim Fotografieren ist auf den einzelnen Fotografen abgestimmt. Insofern ist es entscheidend, dass man die Technik erst mal hintanstellt. Das ganze Thema ist entstanden, als meine Mutter mich – fünf Jahre, bevor sie gestorben ist – gebeten hat, sie zum Augenarzt zu bringen. Da müsse eine Augenoperation gemacht werden, und danach könne sie nicht mehr sehen und ich müsse sie nach Hause bringen. Das habe ich auch gemacht, ich habe sie zum Arzt hingebracht und wieder abgeholt, und nach Hause gebracht, und dann gekocht. Als sie dann die Augenklappe hatte und wir nach dem Essen ruhig am Tisch saßen, da habe ich die Kamera genommen – das war eine sehr entspannte Situation – und habe eine Aufnahme gemacht. Insofern spielte da die Technik keine große Rolle. Ich war quasi Bestandteil der Gesamtsituation.

War sie einverstanden?
Meine Mutter wusste schon, dass ich sehr engagiertfotografiere. Sie hatte da auch immer vollstes Verständnis. Deshalb hat die Kamera keine wesentliche Rolle gespielt, im Gegenteil. Ich habe meiner Mutter gesagt: Pass auf, ich mache hier ein paar Fotos, und es ist nicht dramatisch, wenn du nicht in die Kamera guckst – dann wirkt das viel intimer. Auch insofern war das Technische nicht das Vordergründige. Ich habe auch nur in Situationen fotografiert, wo Entspannung herrschte. Ansonsten habe ich mich in der späteren Phase, in ihrem letzten Lebensjahr, vor allen Dingen um meine Mutter gekümmert, um die Versorgung, ums Einkaufen, ums Kochen, ich habe sie zum Arzt gebracht oder ins Krankenhaus. Da gab es nur noch ab und zu Momente, die diese kontemplative Stimmung hatten, wo ich überhaupt fotografieren konnte.

Es handelt sich also nicht um Inszenierungen?
Nein, nein, ich bin ein klassischer Fotograf von der Folkwang-Schule, und damals haben wir gelernt, dass für eine subjektive Gestaltung trotzdem eine gewisse Authentizität der Situation gewährleistet sein sollte. Der Beweis sind sicher die Bilder: Die Wirklichkeit ist intensiver und intimer, als wenn ich etwas inszeniere.

Nach welchen Kriterien sucht man denn dann aus rund 14.000 Fotos eine Ausstellung zusammen?
Das erste Bild war das, was ich von meiner Mutter mit der Augenklappe gemacht habe. Und nachdem sie sich ausgeruht hatte, bin ich in die Waschküche gegangen, um da Wäsche zu waschen. Dann komme ich aus der Waschküche raus und sehe das zweite Bild. Die Waschküche hat eine Holztür, da ist eine Glasscheibe eingelassen, dahinter sieht man zwei Arbeitskittel und rechts hängt ein kleiner, roter Schal. Da hat es bei mir Klick gemacht im Kopf. Ich habe mir gesagt, dass das im Prinzip ihre äußere Haut ist: Arbeitskleidung und der Schal, der natürlich auch Schutz bietet, vor Kälte, denn die Waschküche war nicht beheizt. Das wirkt sehr atmosphärisch, durch die Riffelglasscheibe sieht man die Gegenstände nicht mehr so, das strahlt auch eine gewisse Aura aus. Die beiden Bilder gehören zusammen. Mit der Zeit habe ich noch mehr Bilder gemacht; wenn ich in Bonn war, haben wir auch Spaziergänge machen können – so richtig krank war meine Mutter ja erst im letzten Jahr.

Was zeichnet dabei für Sie ein gutes Foto aus?
Oh, das ist kompliziert. Auf der einen Seite, wenn es um Portraitfotografie geht, ist sicher wichtig, dass sich der Fotograf so weit zurücknimmt, dass die fotografierte Person sie selbst sein kann; dass also der Fotograf als nicht anwesend erscheint. Da geht es im Prinzip um die These von Cartier-Bresson:Am liebsten wäre ich ein Kleiderständer, der in der Ecke rumsteht, von dem keiner Notiz nimmt. Aber jeder weiß: Er ist da. Wenn ich das jetzt auf die Küche übertrage: Am liebsten würde ich so fotografieren, als ob ich als Seife rumliege und so integrierter Bestandteil der Gesamtsituation bin. Bei den Objekten ist natürlich die Beziehung zwischen Raum und Entfernung neben der entsprechenden Komposition des Bildes wichtig. Aber auch die Frage „Wie weit bin ich weg?“ – nicht zu nah, nicht zu fern, dass sich um die Person noch ein Raumgefüge ergibt – erst das erzeugt ein gutes Bild. Fotografie ist für mich nur das Mittel, um ein Bild zu schaffen. Als ausgebildeter Fotograf weiß ich, wie man belichten kann, aber das ist im Prinzip wie ein Maler, der weiß, wie man Farben aufträgt, das spielt also keine Rolle mehr. Die ganze Technik spielt dann keine Rolle mehr, weil man sie als Stilmittel einsetzen muss, genauso wie ich wissen muss, wie man die Farben anrührt und welchen Pinsel man benutzt, um einen Effekt zu erzielen. Die ganze Serie der Ausstellung ist ja auch analog fotografiert worden.

Wann wird aus der persönlichen Erinnerung Allgemeingut?
In dem Moment, wenn Dinge thematisiert werden, die andere längst verdrängt haben. Das schafft Erinnerungen an vergangene Zeiten, die Dinge kommen dann wieder an die persönliche Oberfläche. Ein fotografierter alter Wasserkessel ist im allgemeinen Bewusstsein abgespeichert, auch wenn heute keiner mehr so einen benutzt. Der Betrachter macht aber aus ihm wieder seine eigenen Erinnerungen.

Hätte Ihrer Mutter die Ausstellung gefallen?
Ich hatte ja noch zu ihren Lebzeiten Gelegenheit, ihr den einen oder anderen Abzug zu zeigen. Sie war immer ganz begeistert, weil sie sich wie in einem Spiegel in den Objekten des Hauses wiedererkannte. Bei einem Bild, wo sie den Kopf in die Hände stützt, meinte sie, sie sehe aus wie „Der Denker“ von Rodin. Das war auf einer Metaebene auch an mich gerichtet, denn wir waren häufig zusammen im Rodin-Museum in Paris. Ich erinnerte mich durch ihre Aussage daran. Andere, die das Bild sehen, können natürlich auch an die berühmte Skulptur erinnert werden.

„Knut Wolfgang Maron: Ein Leben“ I 18.11. bis 13.1. I Kunstmuseum Mülheim I www.muelheim-ruhr.de/cms/kunstmuseum_muelheim

INTERVIEW: PETER ORTMANN

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