Das Kunstmuseum Mülheim hat geöffnet! Nach mehrjähriger Schließung zwecks Sanierung sind die feinen Neuerungen nicht ohne weiteres zu erkennen. Eindrucksvoll ist jedenfalls die Neupräsentation der Sammlung im Erdgeschoss. Zu sehen sind Gemälde und Zeichnungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Deutschland. Erstmals treten die Sammlung des Kunstmuseums und die hier ebenfalls beheimatete Stiftung Sammlung Ziegler gemeinsam auf. Etliche der Künstler und Künstlerinnen im Umfeld der Gruppen Brücke und Blauer Reiter und des Bauhaus sind in beiden Sammlungen vertreten. Nun hängen drei Bilder von Franz Marc zusammen, eine Schafherde und ein schlafendes Reh aus der Sammlung Ziegler und, in der Mitte, das grandiose Gemälde der Kühe unter Bäumen. Das Dialogische wird in der Ausstellungspräsentation zum Schrittmacher, auch in der Kombination verschiedener Künstler.
Zu den besonders anregenden Paaren gehört Karl Hofers „Mädchen mit Blattpflanze“ neben Max Beckmanns Porträt von Quappi, die sich einem Papagei zuwendet. Die Bildnisse lassen in unterschiedlichen Maß Abstraktion einfließen und vermitteln mit den Mitteln des Realismus menschliche Gefühle. Beide Frauen versenken sich in die Betrachtung eines belebten Sujets. Aber während die mondäne Quappi auf dem Sofa liegt, steht das Mädchen nackt hinter einem Tisch vor einem kahlen Hintergrund. Eine Entdeckung der Ausstellung ist Marie Laurencins Gemälde „Tillya – junges Mädchen mit Fächer“ mit tiefschwarzen Augen, die aufmerksam schauen und mit der Dreiecksform des Fächers Abstand zum Betrachter halten. „Tillya“ steigert noch die Anmut ihres Nachbarbildes „Stickende Frau im Sessel“ von August Macke. Komplett anders wirkt dagegen das Porträt „Mumom als Braut“ von Paul Klee: ein aufs Wesentliche reduziertes Bild, das zu durchdacht und austariert ist, um Kindermalerei zu sein, und schon mit seiner hellen körnigen Farbmaterie Lebendigkeit ausstrahlt.
Auch Arthur Kaufmanns Gruppenbild „Die Geistige Emigration“ (1939-1964) ist ausgestellt – eine mahnende Erinnerung an die während dem Nationalsozialismus emigrierten Kulturschaffenden. Eine bedrückte Stimmung stellt sich bei den kongenial gehängten Zeichnungen von Otto Pankok und Käthe Kollwitz aus beiden Sammlungen ein. Sie widmen sich allein mit den Möglichkeiten des Schwarztons der notleidenden Bevölkerung und greifen soziale Fragen auf. Deutlich wird, wie nuanciert die Zeichnung Mitgefühl vermitteln kann.
Ähnlich anregend geht es mit derartigen Dialogen im zweiten Saal weiter, der sich dem Außenraum – urbanen Ansichten, Landschaften, Naturstücken und Menschen in der Natur – zuwendet. Wunderbar ist der Kontrast von Karl Hofers sachlicher Sicht auf eine Ortschaft in ländlicher Gegend zu zwei „Lichtkathedralen“ von Lyonel Feininger, die Architektur zersplittern und ein fortschrittliches Sehen repräsentieren. Hier sind dann auch die Bilder von Ernst Ludwig Kirchner und Otto Mueller zu sehen, die zu den Höhepunkten der Ausstellung gehören. Die Verbindung der Werke des Kunstmuseums und der Stiftung Sammlung Ziegler ist an sich schon großartig. Hier in der unaufgeregt präzisen und klugen Präsentation ist sie ein Erlebnis.
Im Herzen wild: Brücke, Bauhaus, Blauer Reiter | bis 12.1. | Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr | 0208 455 41 38
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