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Annette Bernjus
Foto: Manfred Bernjus

„Durch den Wald streifen“

29. Januar 2020

Meditationslehrerin Annette Bernjus über den Sehnsuchtsort Wald

trailer: Frau Bernjus, der Wald gilt als gefährlich und mystisch zugleich.

Annette Bernjus: Das kommt mit Sicherheit aus der Geschichte des Waldes. Damit verbindet man eher etwas Geheimnisvolles. Im Wald verirrt man sich, da hat man sich versteckt. Das hat auch in den Märchen eine ganz lange Tradition. Es war immer ein Ort, in den man gar nicht so tief eindringen wollte. Man hat nach Möglichkeit immer den Waldrand benutzt. Letztendlich wurden hier auch Schlachten entschieden und geschlagen: also kein Ort, an dem man sich gerne lange aufhalten wollte.

Was macht den Wald zum Sehnsuchtsort?

In Deutschland fing man schon ein bisschen in der Romantik damit an, den Wald auch einfach zum Spazierengehen zu nutzen. Aber noch nicht so intensiv, denn an sich war der Wald hauptsächlich noch immer Arbeitsplatz. Das änderte sich erst ab den 1970er Jahren. Ab dann entstand ein regelrechter Boom: Man ging zum Sporttreiben oder Spazierengehen in den Wald. Man ist früher in den Wald gegangen, um Beeren und Pilze in großer Zahl zu sammeln. Besonders auch Holz, das man für alles Mögliche verwendet hat. Für uns, die wir nicht von der Forstwirtschaft leben, ist der Wald inzwischen wirklich Erholungsort geworden. Das hat aber ein bisschen gedauert, bis es soweit war.

Sie sind oft mit Gruppen unterwegs. Was lernen die Teilnehmer?

Beim Waldbaden lernen sie als erstes, dass man durch den Wald streifen kann ohne dass sie ein konkretes Ziel vor Augen haben. Wir tauchen ein, in die Atmosphäre des Waldes. Es geht nicht in dieses Wirtshaus, an diesen See und wieder zurück, sondern die Teilnehmer erfahren lediglich von mir, wir treffen uns da und da und dann gehen wir ein bisschen in den Wald. Für viele ist das schon was Neues und wirkt sehr entschleunigend. Wenn ich das Reizarme des Waldes im Gegensatz zur überfluteten Stadt habe, dann erlebe ich plötzlich, dass ich dann auch wieder in mich hineinfühlen kann. Diese Verbindung gelingt im Wald unheimlich gut: Ich komme hier an, an einen Ort, der mir Ruhe schenkt, an dem alles langsamer geht. Im Alltag geht es oft sehr schnell, alles zieht an uns vorbei, es ist immer laut. Wir haben verlernt, hinzuhören. Das wieder zu kultivieren ist schon ein großer Schritt in Richtung gesund bleiben und gesund werden. Letztens habe ich jemanden erlebt, der sagte: „Ich fass’ hier aber nichts an.“ Dabei ist es etwas ganz Normales, einmal Erde in die Hand zu nehmen. Wenn wir uns mal zurückerinnern: Als Kinder haben wir das als ganz selbstverständlich empfunden. Manchmal geht diese Fähigkeit aber im Laufe eines Lebens verloren.

Welche positiven Aspekte hat das Waldbaden?

Waldbaden ist bereits wissenschaftlich untersucht. Die Komponenten, die hier ineinander wirken, sind zum einen der Wald als Ökosystem, andererseits die damit kombinierten Übungen. Gehen wir in den Wald, so wirkt das innerhalb kürzester Zeit – bereits nach einer Viertelstunde – beruhigend auf unser autonomes Nervensystem. Unser Parasympathikus, unser Ruhenerv, wird aktiviert und so sinken die Stresshormone. Der Cortisolspiegel geht herunter, der Blutdruck normalisiert sich und der Blutzuckerspiegel sinkt. Gleichzeitig kann unser Immunsystem entschlüsseln, was die Bäume und auch die Pflanzen an Duftstoffen abgeben und wird dadurch auch gestärkt. Die natürlichen Killerzellen im Immunsystem gehen nach oben. Diese Wirkung hält auch über den Waldspaziergang hinaus an. Wenn wir nur zwei Stunden in den Wald gehen, haben wir unser Immunsystem bereits eine Woche lang gepusht. Ich sag’s immer: Man sieht’s an den Augen der Menschen, wenn sie wieder zu sich selbst kommen. Wenn wir raus in die Natur gehen, wirkt die Farbe Grün auf uns sehr beruhigend und die Farbe Braun, die wir auf dem Boden sehen, erdet uns. Es ist unsere Verbindung zur Natur. Wir sind ja immer noch Steinzeitmenschen. Unser ganzes Stress- und Entspannungssystem funktioniert noch wie aus dieser Zeit. Im Grunde genommen hat sich da gar nicht viel geändert.

Immer stärker tritt die Kommunikation der Bäume zutage – ein breites Netzwerk, das über Wurzeln & Pilze kommuniziert. Können wir etwas von der Sprache der Bäume lernen?

Das ist natürlich eine wunderbare Vorstellung: Wir kommen in den Wald und tauchen ein, in ein Kommunikationssystem. Von diesem System können wir lernen, dass es sehr gut funktioniert, aber sehr langsam und leise. Was wäre denn, wenn wir vielleicht auch mal einen Schritt zurück gehen, mal einen Gang runter schalten und auch einfach mal ein bisschen langsamer werden. Damit blieben wir ja nicht stehen oder gingen rückwärts.

Können wir uns auch in Bezug auf die Jahreszeiten etwas abschauen?

Die Natur sagt es uns eigentlich: Im Winter muss ich meine Kräfte sammeln, damit ich im Frühjahr wieder explodieren kann. Im Frühjahr geht es wieder los, da schlagen die Bäume aus und drängen nach außen. Im Sommer, die Hochzeit, in der man einfach aus sich heraus gehen kann und diesen Wechsel hat, zwischen schöner Anspannung und Entspannung. Das ist ein super Lehrmeister da draußen, hier, in Deutschland, wo wir die Jahreszeiten wirklich noch so schön vor Augen haben. Dass Ruhephasen wie im Winter unerlässlich sind, um neue Ideen entwickeln zu können, lernen wir vom Wandel in der Natur.

Was raten Sie Menschen, in deren Nähe es keinen Wald gibt?

Wenn man keinen Wald vor der Tür hat, kann man sich einfach eine Wiese oder einen Park in der eigenen Umgebung suchen. Wirklich zu schauen: „Was ist bei mir an Natur vorhanden?“ Wir haben ja auch in den Großstädten wirklich schöne Parks. Dort mal still zu werden, die Rinde eines einzelnen Baums zu berühren, macht auch schon ein kleines Waldbad aus. Sich mit dem Baum zu verbinden, lässt einen den Krach drum herum nicht mehr so intensiv wahrnehmen. Das lässt sich da gut lernen. Und wenn man einen konkreten Ort hat, kann man es leichter in seinen Alltag einbinden. Nur weil Waldbaden jetzt so in ist, ist das Andere ja nicht schlechter geworden. Wenn man vielleicht lieber joggt oder wandert, dann kann man trotzdem mal eine Pause machen und versuchen, bewusst die Natur um sich herum wahrzunehmen.


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menschundwald.de | Der Verein „Mensch & Wald“ über die heilende Wirkung von Wäldern auf Psyche und Körper.
wald-und-holz.nrw.de/ueber-uns/einrichtungen/regionalforstaemter/ruhrgebiet | Die Ruhrgebiets-Zweigstelle des Landesbetriebs, u.a. über das Projekt „Industriewald“.

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Interview: Nina Hensch

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