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Burhan Qurbani betritt mit seinem Film thematisches Neuland
Foto: Rika Talsinn

„Ein gordischer Knoten aus menschlichem Versagen"

27. Januar 2015

„Wir sind jung. Wir sind stark.“ im Endstation.Kino – Foyer 01/15

Als Burhan Qurbani mit der Recherche für seinen Spielfilm begann, existierten zu den Anschlägen in Rostock-Lichtenhagen kaum Werke, an denen er sich orientieren konnte. Damit betrat der Filmemacher unerforschtes Territorium. Dennoch hielt er an seinem Plan fest, die Vorfälle im Jahre 1992, die den Sohn afghanischer Einwanderer stark geprägt hatten, zu thematisieren. Herausgekommen ist nicht die Dokumentation einer Tragödie, sondern der Einblick in ein gesellschaftliches Trümmerfeld, in dem sich Perspektivlosigkeit, Frustration und Tristesse in blinder Wut entluden.

Im August 1992 beteiligten sich hunderte Menschen an Anschlägen im Rostocker Vorort Lichtenhagen. „Wir sind jung. Wir sind stark“ beschreibt den 24. August, an dem zum Teil rassistische Motive, häufig aber die Unzufriedenheit mit der eigenen Lebenssituation, eine große Menschenmenge vor die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber trieben. Diese war zuvor aus Angst vor den Anschlägen evakuiert worden. Nebenan im sogenannten „Sonnenblumenhaus“ hielten sich jedoch weiterhin Vietnamesen auf, die dem Mob zum Opfer fielen. Mit Molotowcocktails wurde das Wohnheim in Brand gesteckt, die Bewohner mussten auf das Dach fliehen.

Der Tag aus drei Perspektiven

„Wir sind jung. Wir sind stark.“ zählt die Stunden bis zur Eskalation vor dem Sonnenblumenhaus. Regisseur Burhan Qurbani beschränkt sich jedoch nicht auf die Opferrolle; der verhängnisvolle Tag wird aus drei Perspektiven erzählt. Das Böse wird zur Diskussion gestellt, seine Motive werden hinterfragt. Da wären zum Einen Robbie und Stefan, Teil einer Clique aus Gymnasiasten und Beschäftigungslosen, die mit sich und ihrer Zeit nichts anzufangen wissen. In einem kaputten Umfeld kämpfen sie mit überforderten Eltern und drastisch gestiegener Jugendarbeitslosigkeit. Von der Gesellschaft vergessen, suchen sie nach einem Sinn, einem Ziel, das sie fokussieren können.

Dem steht Stefans Vater, Politiker der Stadt, hilflos gegenüber. Sein Sohn entgleitet ihm in einer Spirale aus Frust und Trostlosigkeit, während er selbst als Vertreter der Politik nicht weiß, welche Entscheidung er zu treffen hat. Lien, die mit ihrer Familie im Sonnenblumenhaus lebt, vertritt die Opferseite. Sie weigert sich, mit ihrem um sein Leben fürchtenden Bruder nach Vietnam zurückzukehren. Krampfhaft sucht sie die Akzeptanz der Gesellschaft, färbt sich die Haare, gibt sich unberührt von rassistischen Bemerkungen und hetzt selbst gegen „die Zigeuner“ – nur um in Deutschland einen Platz zu finden.

Burhan Qurbani nahm sich besonders viel Zeit bei der Wahl der Schauspieler. Jeder bekam eine eigene Vorgeschichte und kannte sein fiktives Leben bis zu den Großeltern. So konnten die Jungschauspieler ihre Rolle genau verstehen und authentisch darstellen. Obwohl Rechtsradikalismus eine große Rolle spielt, verdeutlicht jedes einzelne Schicksal die verschiedenen Faktoren, die zu den Anschlägen geführt haben. Was in Rostock passiert ist, sei laut Qurbani „ein gordischer Knoten aus menschlichem Versagen, bürokratischen Fehlern und politischem Kalkül“ gewesen.

Hervorragende Schauspieler verleihen der Geschichte Tiefgang, Foto: Presse

„Eine Sinfonie mit Paukenschlag“

Das Publikum ließ die Kritik verlauten, der Film gehe nicht genug auf die Details und Umstände der Ausschreitungen ein. Regisseur Qurbani rechtfertigte dies mit dem wenigen Platz für Ausschweifungen, den ein Film bietet. Zudem könne er als erster Filmemacher zu diesem Thema nirgendwo anknüpfen. Qurbani betonte jedoch, sein Film könne nicht aufklären; er könne lediglich Fragen stellen. Und das tut er. Er erklärt nicht die Hintergründe der Akteure und beschäftigt sich nicht besonders mit der politischen Situation. Der Fokus liegt eindeutig auf der Gefühlslage der Protagonisten. Größtenteils in Schwarzweiß erzählend, kreiert der Regisseur eine Distanz, die sich schlagartig auflöst, als der Film auf Farben umspringt und die erste Brandflasche das Wohnheim trifft. Die Kamera fängt jede Gefühlsregung ein; Gut und Böse verschwimmen bis zu der Grenze, an der sich die Frage stellt, ob der Film nicht womöglich die falsche Botschaft vermittelt. Wird die Entladung von Frust und Sinnlosigkeit verharmlost? Burhan Qurbani will die Situation nicht herunterspielen. Viele hätten in dieser Nacht Dinge getan, die sie sich selbst nie zugetraut hätten. Diesen Aussetzer wolle er darstellen. „Ich hoffe, die Botschaft in meinem Film ist trotzdem deutlich genug“, so der Regisseur.

Traurige Aktualität

Die Veröffentlichung zu Zeiten von Pegida und deren Ablegern war laut Qurbani nicht geplant. Nun lassen sich die Situationen dennoch vergleichen. Ein entscheidender Unterschied zwischen der aktuellen Lage und den Tagen im August 1992 ist aber sicherlich die starke Gegenbewegung, die sich Pegida in den Weg stellt. Eine so ausgeprägte Reaktion gab es damals nicht. Qurbani warnt dennoch vor dieser Entwicklung: „In meiner Erfahrung haben die Menschen, die mit einer solchen Meinung auf die Straße gehen, oft den längeren Atem.“ Sein Film, der eigentlich erinnern sollte, ist also gleichzeitig zum Appell geworden. An die Menschen, die für fragwürdige Werte auf die Straße gehen, aber auch an die Menschen, die tatenlos zusehen, einmal innezuhalten und ihr Handeln zu hinterfragen.

Rika Talsinn

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