Verdamp lang her, dass der Saddam in den Karneval geplatzt kam. Um genau zu sein: 25 Jahre. Und: Es waren nicht Saddam und seine muslimischen Horden, sondern die Amis, die im Dienste der Weltwirtschaft der Partylaune den Garaus bereiteten. Multimedial zugedröhnt von zielgenau lancierten Propaganda-Raketen verging etlichen bereits so das Feiern. Dem Rest verweigerte man aus vermeintlichen Pietätsgründen den Straßenkarneval. Was blieb, war die Wiederaufnahme der Geisterzüge, um der kölschen Seele Genüge zu tun: mit ’nem Bier in der Hand und ’nem diabolischen Grinsen im Gesicht der Obrigkeit den Stinkefinger zu zeigen.
Ein Vierteljahrhundert später ist aus Diabolik Grenzdebilität geworden. Das Kölsch steht zwar immer noch auf dem Tresen; mittlerweile allerdings reichlich schal. Der ganze Nahost-Krisen-Terror hat sich einfach nicht unter den Tisch trinken lassen. Stattdessen stehen auch noch Saddams Enkel als das personifizierte Böse direkt vor unserer Tür. In 0,nix tanzen Wut und Ohnmacht ihren abstoßenden Ringelpietz mit Anfassen. Und im Hintergrund reibt sich das Kapital als eigentliche Macht schamlos die Hände. Im Ausnahmezustand ist sich jeder selbst der nächste. Ein Geisterzug voll widersprüchlich krakeelender und mobbender Mägde und Knechte, die nicht merken, dass sie sich ins eigene Knie schießen.
Bei Maria der Versauten oder Margot der Schlange lehnt man sich noch amüsiert zurück: Welch köstliches Dramolett, wenn in penetrantem Größenwahn verblendete Blaublüter Generation für Generation Irina Teodorescus „Fluch des schnauzbärtigen Banditen“ [Wagenbach] anheimfallen. / Bei James Carlos Blakes „Pistolero“ [Liebeskind] hingegen muss man schon schlucken: John Wesley Hardin, der schießwütigste unter allen Wild West Gunfightern, macht sich beim Leser sicherlich nicht als Pazifist beliebt. Vielmehr ist es die offensichtlich-unaufhaltsame Abwärtsspirale der Gewalt, die den texanischen Sympathiebrocken wie auch unsereinen mit sich reißt. / Wahrhaft gruselig wird's jedoch erst bei Martin Amis. In lakonischem Zynismus lässt das Enfant Terrible der englischen Literatur die Bestialität des Holocausts an der perfiden Egomanie des Menschen zerschellen, der zu jeder Sekunde allein auf seinem persönlichen „Interessengebiet“ [Kein & Aber] wandelt.
Insofern braucht auch kein Gutmensch darauf zu setzen, dass wie in Neal Stephensons „Amalthea“ [Manhattan] der Mond explodiert und die Erde verbrennt. Technisch detailliert und actiongeladen beschreibt das Sci-Fi-Genie, wie der Mensch quasi heute schon in der Lage wäre, seine soziale Dysfunktionalität ins All und wieder zurück zu retten. / Man könnte natürlich auch „Über Yoga“ [Taschen] versuchen, die Menschheit wieder ins Gleichgewicht zu führen. Im Angesicht von Michael O‘Neills schwärmerischem Fotobildband zu dieser „Architektur des Friedens“ steht allerdings zu befürchten, dass sich das gemeine Volk Geist und Körper verrenkt, während sich die Chosen Few erneut ins Fäustchen lachen. / Bliebe noch „Billy“ [Insel] als philosophisch talentierter Auftragsmörder, um die wahren Strippenzieher das Fürchten zu lehren. Doch so wunderbar sich dieses Szenario aus einzlkinds samtschwarzer Feder lesen ließe, wäre es doch ein zu abruptes Ende. Mal ganz davon abgesehen, dass dem Nubbel der Stoff ausginge.
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