All We Imagine As Light
Frankreich, Indien, Luxemburg, Niederlande 2024, Laufzeit: 123 Min., FSK 12
Regie: Payal Kapadia
Darsteller: Kani Kusruti, Divya Prabha, Chhaya Kadam
Mumbai und der Strand am indischen Ozean sind zwei Seiten der Hoffnung
Dunkelheit und Licht
„All We Imagine As Light“ von Payal Kapadia
Mit einer Fahrt durch das nächtliche Mumbai beginnt „All We Imagine as Light“. Im Chaos der überfüllten U-Bahnen und der sich drängenden Menschen schälen sich die Protagonistinnen von Payal Kapadias betörendem ersten Spielfilm, der in Cannes mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet wurde, heraus. Bereits ihr Dokumentarfilm „A Night of Knowing Nothing“ wurde international gefeiert, und der dokumentarische Blick der indischen Regisseurin zeigt sich von der ersten Filmsekunde an. Wie in einem Sog geht es in den Schlund der Megalopole. Fern von der Heimat erfüllt sich die Existenz der Menschen im Dreiklang des entfremdeten Lebens: U-Bahn, Maloche, Schlaf.
Zwischen Arbeit und Bett pendeln auch Prabha (Kani Kusruti, ein Star des indischen Arthouse) und Anu (Divya Prabha). Die beiden Krankenschwestern sind die die Heldinnen von Kapadias Neorealismus, der immer wieder an Satyajit Ray denken lässt. Sie arbeiten auf einer gynäkologischen Station und teilen sich ein enges Zimmer. Prabha wirkt wie die moralinsaure Tante der frisch verliebten Anu. Einen Stationsarzt, der mit selbstgebackenen Keksen um sie wirbt, weist sie zurück, schließlich ist sie verheiratet, auch wenn sie seit Jahren nichts mehr von ihrem Mann gehört hat. Und dann ist da noch Kaki, eine verwitwete Bekannte, die aus ihrer Wohnung fliegt.
Kapadias Protagonistinnen stehen mit ihren romantischen Sehnsüchten auch für die Probleme des modernen Indiens. Die hinduistische Anu und ihr muslimischer Liebhaber Shiaz lassen sich auf eine verbotene Liebe ein. Dr. Manoj hat Schwierigkeiten mit der Amtssprache Hindi; ihm ist das Malayalam vertraut, die Sprache seines Dorfes, was ihn von Mumbai entfremdet und zu Prabha hinzieht. Prabha wiederum wurde als junge Frau an ihren Mann zwangsverheiratet. Ihre Bekannte ist nicht nur den Gesetzen des Patriachats unterworfen, sondern wird auch zum Opfer der raumfressenden Hochhäuser, die überall aus dem Boden wachsen. Die Überbevölkerung ist allgegenwärtig, was auf der gynäkologischen Station naturgemäß ein Thema ist – die Pille wird heimlich weitergereicht.
Beiläufig und unterschwellig weben sich die skizzierten Themen in die somnambule Atmosphäre des Films. Fast immer ist es Nacht, die Zimmer sind spärlich beleuchtet, das Großstadtlabyrinth zeigt viele dunkle Winkel, in denen Anu mit ihrem Liebhaber einen ungestörten Platz sucht. Das kreiert eine Atmosphäre schwerer Emotionalität, in die man hineinsinkt wie in einen schlaflosen Fiebertraum.
Und dann beginnt die B-Seite des Films. Als Kaki resigniert das chaotische Mumbai verlässt, um zurück in ihre Heimat zu gehen, folgen ihr Prabha und Anu. Jetzt spielt der Film an den kleinen Bambushütten direkt am Strand, wo die Touristen bunte Getränke schlürfen. Das Licht bricht mit einem Mal in den Film hinein und auch eine Mystik, die die Schwere aufbricht und die Rätsel der Vergangenheit zu lösen scheint. „All We Imagine As Light“: Das ist der erfüllte Sehnsuchtshorizont der Imaginationen – und die Rückkehr der Menschen zu ihren Träumen, die von der Brandung des indischen Ozeans herangetragen werden.
(Dunja Bialas)
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