Das Kinojahr 2024 geht mit gleich zwei Blockbustern von Disney zu Ende, „Vaiana 2“ und „Mufasa: Der König der Löwen“, was es in dieser Form noch nicht gegeben hat. Parallel zu diesen besten Animationen streiten sich Matthew Browns „Freud – Jenseits des Glaubens“ mit Anthony Hopkins und Sönke Wortmanns „Der Spitzname“ mit dem bekannten Iris-Berben-bis-Christoph-Maria-Herbst-Cast um die Krone für die besten Dialoge. „Freud“ verhandelt im London des Zweiten Weltkriegs höchst pointiert den Glauben an Gott und das Gute im Menschen. „Der Spitzname“ versucht sich in den Bergen an einer Analyse des Zeitgeistes zwischen aktuellen Woke-Stolperfallen und zeitlosem Familienzwist.
Anfang Januar geht es gleich weiter mit Luca Guadagninos heftiger Burroughs-Verfilmung „Queer“ mit Daniel Craig, bevor dann John Crowleys berührende Romanze „We Live in Time“ und Jesse Eisenbergs Oscar-verdächtiger Polen-Trip „A Real Pain“ übernehmen. Und ab 23. Januar schickt Robert Thalheim seine „Kundschafter des Friedens“ ausgerechnet auf Kuba in ein neues Abenteuer. Besser als mit diesen Filmen könnte das neue Jahr gar nicht beginnen.
Inwiefern sich der Trend fortsetzt, dass abseits der Superhelden- und Animationssequels die Einspielergebnisse für hochgelobte Dramen und Komödien immer mehr einer Achterbahnfahrt gleichen, wird sich im neuen Jahr zeigen. Einerseits darf man klar festhalten, dass Jonathan Glazers „The Zone of Interest“ und Yórgos Lánthimos‘ „Poor Things“ im abgelaufenen Jahr absolut die Erwartungen erfüllt haben und in früheren Jahren niemals besser gelaufen wären. Andererseits hatten Sean Bakers freches „Pretty Woman“-Update „Anora“ oder Jacques Audiards wildes Musical-Drama „Emilia Pérez“ doch erstaunliche Schwierigkeiten, ein Publikum jenseits der 100.000-Zuschauer-Grenze zu erreichen.
Besonders die Mundpropaganda wird dabei immer unberechenbarer. Während ein angeblich „schlechter“ Film wie „Joker: Folie à deux“ binnen Tagen zum Kassengift werden kann, hat es ein „richtig guter“ Film schwer, sofort an die Spitze zu schießen. Qualität spricht sich nur langsam herum, während Verrisse, auch weil sie in den sozialen Miesepeter-Medien eine ganz eigene Unterhaltungsform darstellen, praktisch sofort wirken. Die Arthouse-Kinos versuchen dem nun entgegenzuwirken, indem sie mit Abo-Modellen etwas mehr Flexibilität und Probierfreude in ihr Publikum bringen wollen.
Allerdings zeigen so unterschiedliche Überraschungserfolge wie „Red One: Alarmstufe Weihnachten“, „Sterben“ oder „The Substance“ eben auch, dass sich das Publikum gar nicht so sehr um die Klischees von „zu frühen“ Home-Entertainment-Veröffentlichungen, „zu schwierigen“ oder „zu heftigen“ Stoffen oder Bildern schert. Es sucht vielmehr nach etwas Verrücktheit, Lebens- und vielleicht auch Glücksnähe, für die Kinos als feste, unverrückbare Gebäude, vom Filmplakat am Eingang bis zum Kinosessel als Zielposition, weiterhin stehen.
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