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Der seidene Faden

Der seidene Faden
USA 2017, Laufzeit: 131 Min., FSK 6
Regie: Paul Thomas Anderson
Darsteller: Daniel Day-Lewis, Vicky Krieps, Lesley Manville
>> upig.de/micro/der-seidene-faden

Intensives Beziehungdrama voller Eleganz

Feinstofflichkeit der Liebe
Der seidene Faden“ von Paul Thomas Anderson

Was ist Kino? Was gehört ins Kino? Es sind diese Fragen, die immer wieder und vielleicht sogar immer öfter gestellt werden. Denn bei derart vielen Möglichkeiten Film, oder – um es etwas technischer auszudrücken – Bewegtbild zu gucken, wird die Frage, was wohin gehört, wenn theoretisch alles überall gesehen werden kann, immer bedeutsamer. Zwischen Großleinwand im Kino und Handyscreen in der U-Bahn gibt es dann aber doch einen gar nicht so feinen Unterschied. Auch wenn die Idee, dass bestimmte Formate oder Ästhetiken nichts im Kino zu suchen haben, häufig nur elitär oder ökonomisch begründet wird, weil die Leinwände ob der vielen Neustarts ‚verstopfen‘, lässt sich bei einigen Filmen doch eindeutig aus ästhetischen Gründen sagen: Das gehört nicht auf einen Fernsehbildschirm und erst recht nicht auf einen Handyscreen. Der neue Film von Paul Thomas Anderson („Boogie Nights“, „Magnolia“, „There Will Be Blood“, „The Master“) ist ein solcher Film. Seine Qualitäten können sich nur im Kino auf der großen Leinwand voll entfalten.  

Reynolds Woodcock (Daniel Day-Lewis) hat sein ganzes Leben der Mode gewidmet. Der traditionalistische Modemacher betreibt im London der Nachkriegszeit nur ein kleines Haus, die Kundschaft könnte aber kaum exquisiter sein: High Society, Adel und sogar Königshäuser geben sich bei im die Klinke in die Hand. Der nicht mehr ganz so junge, aber sehr attraktive Woodcock stattet die Damenwelt mit klassischen Kleidern aus und geht ganz in seiner Arbeit auf. Seine alleinstehende Schwester Cyril (Lesley Manville), die zusammen mit Reynolds im Haus wohnt, das zugleich Schneiderei und Showroom beherbergt, leitet das Geschäftliche. Er ist der sensible Künstler, von dem man jegliche Ablenkung fern halten muss. Mit im Haus wohnt seine Lebensgefährtin, aber als sie zu viel Aufmerksamkeit für sich einfordert, muss sie wie so viele vor ihr wieder gehen. Hier ist nur Platz für die Schneiderkunst. Das muss auch Alma (Vicky Krieps) erfahren. Reynolds ist von der jungen Schönheit fasziniert. Sie arbeitet als Kellnerin in einem Hotel an der Küste. Als er sie zum Abendessen einlädt, kann er nicht mal beim ersten Date die Mode vergessen. Statt im Bett zu landen, finden sich die beiden im Dachstuhl von Reynolds Landhaus wieder: Sie auf einem Podest, er mit dem Maßband. Denn sie hat die perfekte Figur für seine Mode …

Perfektes Aussehen – das ist auch die offensichtlichste Qualität von Paul Thomas Andersons neuem Film, die ihn für das Kino prädestiniert. Die Kameraarbeit hat er gleich selber übernommen und jede Einstellung in ein lebendes Gemälde verwandelt. Die Stoffe, die Kleider, die Räume werden in wohlkomponierten Bildern zelebriert, die nicht selten an die Eleganz bei Hitchcock erinnert. Tatsächlich finden sich hier auch Elemente und Suspense, die man von der ein oder anderen gefährlichen Liebschaft bei Hitchcock kennt. Diese leicht altmodische visuelle Perfektion sah man in den letzten Jahren nur noch in Tom Fords „A Single Man“ und Pablo Larraìns „Jackie“. All drei Filme berufen sich auf das Melodram, um in die Tiefen der Seele ihrer Protagonisten hinabzusteigen. In klassischer Weise arbeitet dem auch die Filmmusik zu, abermals von Radioheads John Greenwood komponiert. Weniger Expressivität als Eleganz ist das oberste Stilmittel dieser Seelenschau. Daniel Day-Lewis, der für den Film das Handwerk des Schneiders erlernt hat, spielt den stilsüchtigen Modeschöpfer in Perfektion. Die Kamera saugt in unzähligen Nahaufnahmen sowohl dessen Begeisterung für seine Arbeit als auch dessen Paranoia vor allem Unbekannten auf. Vicky Krieps hingegen scheint zunächst nur eine wunderschöne Projektion, die sich perfekt als Muse für einen Künstler eignet. Bis sie nach und nach zeigt, dass sie ganz eigene Vorstellungen von ihrem Leben hat – und ihrem Zusammenleben mit Reynolds. Mit welcher Entschlossenheit sie für ihre Gefühle und Sehnsüchte kämpft und welch erstaunliche Wendung die Beziehung der beiden nimmt, das ist die fast schockierende Qualität dieses wunderbar anzusehenden Films.

Oscar 2018: Beste Kostüme

(Christian Meyer-Pröpstl)

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