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Der Tintenfisch und der Wal
Australien 2004, Laufzeit: 81 Min., FSK 12
Regie: Noah Baumbach
Darsteller: Jeff Daniels, Laura Linney, Jesse Eisenberg, Owen Kline, Anna Paquin, William Baldwin, Halley Feiffer, David Benger, Adam Rose, Peggy Gormley, Peter Newman

Es mag ein wenig verwunderlich erscheinen, dass Regiephantast Wes Anderson für diese Tragikomödie als Produzent fungierte. Seine vorletzte Regiearbeit "The Royal Tenenbaums" hatte doch erst die chaotischen Turbulenzen einer Scheidungsfamilie beleuchtet, entbehrte konsequent Tiefgang und blieb Klamauk und Märchen. Wes Anderson interessieren Tempo, Bilder, Timing, visuelle und akustische Gimmicks und das Absurde. So sehr sich der Regisseur Anderson Wahrhaftigkeit und Emotionen verwehrt, so sehr öffnet er sich ihnen hier als Produzent. Was aber "Der Tintenfisch und der Wal" von Andersons Regiewerken zuallererst unterscheidet, ist der Look: Wenn zu Beginn die Kamera im Auto der Familie Berkman mitfährt, fühlt man sich weniger in eine skurrile Inszenierung als in einen neuen deutschen Film versetzt, der mittendrin statt nur dabei sein will und, die Digicam auf der Schulter, direkt aus dem Leben erzählt. Das Familiendrama basiert auf den Jugenderinnerungen von Regisseur Noah Baumbach, Co-Autor zu "Die Tiefseetaucher" und Kind der 80er Jahre. Baumbach drehte auf 16 Millimeter, da er "ein authentisches Feeling der 80er Jahre erzeugen" und keinerlei Technologie verwenden wollte, die damals noch nicht existierte. Das überzeugt hier ebenso wie die Nähe, die sich durch die Kameraarbeit vermittelt. Der Plot des anrührenden Dramas ließe sich aufgrund seiner Aktualität problemlos in die Jetztzeit transportieren. Vater Bernard (Jeff Daniels) ist ebenso verantwortungslos und egoistisch wie Gene Hackmann als Familienoberhaupt der Tenenbaums. Die Zeiten literarischer Errungenschaften sind für Bernard längst vorbei, verbittert und egomanisch lebt er nun seine Diva-Allüren und ist selbst im Spiel gegen seine Kinder ein schlechter Verlierer. Das Verhältnis zu seiner Frau Joan (Laura Linney), die mittlerweile eigene literarische Erfolge vorzuweisen hat, ist unterkühlt und respektlos, und die verbalen Attacken und Anfeindungen bleiben den beiden Söhnen Walt, 16, und Frank, 12, nicht verborgen. Baumbach erzählt die Geschichte aus dem Blickwinkel der pubertierenden Jungen, die nach der Scheidung per 'Houseswitching' unter ihren Eltern aufgeteilt werden. Während Bernard mit der jungen Studentin Lili (Anna Paquin) anbändelt, nutzt er Joans Affäre mit dem Tennislehrer Ivan (William Baldwin), um die Sympathien seiner Jungs zu manipulieren. Er geht dabei selbst mit schlechtem Beispiel voran, und es sind vor allem seine selbstmitleidigen, uneinsichtigen Allüren, die den beiden Söhnen das weibliche Geschlecht vergraulen und einen ganz speziellen Blick auf das Erwachsenenleben vermitteln, in das sie gerade hineinschlittern. Erste Folgen der Verziehung sind Walts gestörtes Verhältnis zum Händchenhalten und Franks fixe Idee, sein Sperma in der Schule zu verteilen. Musik nutzt Baumbach nicht als künstlichen Gefühlsverstärker, Musik ist hier Gefühl: Mit dem Song "Hey you", der sich stringent durch den Film zieht, nimmt Sohn Walt den Hilferuf von Pink Floyds Protagonisten Pink aus "The Wall" auf. Walt spielt das Lied bei einem Schülerwettbewerb und stellt es als Eigenkomposition aus. Als der Schwindel auffliegt, ist schnell vergessen, dass es Walt im Grunde um die Vermittlung seiner Emotionen geht. Nicht alles, sagt auch Baumbach zu seiner Geschichte, ist streng autobiografisch. Aber "was echt ist, ist die Emotion". Die Filme von Noah Baumbach und Wes Anderson sind wundervolle, einzigartige Hollywoodgrenzgänge, bedienen sich irgendwo aus dem Leben, mal stilisiert versponnen, mal schrecklich nah, sind immer humorvoll und tragisch, nur eben aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt. Das nächste gemeinsame Drehbuch haben sie gerade fertig gestellt: Ein Animationsfilm nach einem Roman von Roald Dahl. Regie wird wieder Wes Anderson führen. Die Tendenz lässt sich erahnen, und ihr wird hoffentlich entsprochen.

(Hartmut Ernst)

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