Der Trafikant
Deutschland 2018, Laufzeit: 114 Min., FSK 12
Regie: Nikolaus Leytner
Darsteller: Simon Morzé, Karoline Eichhorn, Bruno Ganz, Johannes Krisch, Gerti Drassl, Emma Drogunova, Michael Fitz, Regina Fritsch
>> www.tobis.de/film/der-trafikant
Vielschichtige Literaturverfilmung
Die braune Welle
„Der Trafikant“ von NikolausLeytner
Interview mit Regisseur Nicolaus Leytner
Zuweilen spiegelt sich im Film besonders klar, wie Geschichte sich wiederholt, oder wiederholen könnte. Mit „Der Trafikant“ verfilmt der Österreicher Nikolaus Leytner den gleichnamigen Erfolgsroman seines Landmanns Robert Seethaler. Das Drama spielt vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, in authentischem Wiener Setting und meist traditionellem Erzählstil. Und doch weisen die Geschehnisse darin auch mitten in unsere Gegenwart, direkt hinein nach Dresden und Chemnitz.
1937 kommt der 17-jährige Franz Huchel (Simon Morzé) ins brodelnde Wien, naiv, frisch vom Land und den Kopf voll wüster Träume. Franz tritt als Lehrling in der Trafik, einer Art Kiosk, des einbeinigen Otto Trsnjek (Johannes Krisch) an, der Zeitschriften, Tabakwaren und andere Kostbarkeiten des Alltags an Stammkunden verkauft. Einer von ihnen ist der 82 Jahre alte, von Krankheit gezeichnete Sigmund Freud (Bruno Ganz). Zwischen dem jüdischen Psychiater und Franz entwickelt sich eine Freundschaft, die von zwei Faktoren bestimmt wird: Der älteren, sexuell erfahreneren und vollkommen unberechenbaren Varietétänzerin Anezka (Emma Drogunova), in die Franz sich auf dem Rummel verliebt. Und den Nazis, deren Macht wie ekliger brauner Dunst durch die Gassen der Stadt kriecht und schließlich auch die Trafik erreicht.
Souverän überträgt Leytner den poetisch-leichten, dabei lakonischen Ton auf die Leinwand, in dem Seethalers Roman die ungleiche Männerfreundschaft, die bittersüße Liebesgeschichte und das Zeitgeschichts-Drama miteinander verwebt. Im Zentrum steht Franz. An seiner Mühe, mit den Dingen Schritt zu halten, zeigt sich am besten das unheilvolle Tempo, mit dem die Welt kippt. Seine philosophisch angehauchten Dialoge mit Freud, von Ganz und Morzé fein herausgespielt, spiegeln diese Überforderung. Gleichzeitig bilden sie mit einer gewissen Situationskomik und sehr gelassenem Humor die unterhaltsamsten Passagen des Films.
Der Weltbürger Freud muss einsehen, dass selbst er das Wesen der Liebe für seinen jungen Freund nicht enträtseln kann. „Wenn der Kopf nicht weiter weiß, soll man dem Herzen folgen“, belehrt er Franz also ersatzweise, oder: „Mit Zigarren ist es wie mit den Frauen. Wenn du zu fest an ihnen ziehst, verweigern sie den Genuss.“ Auch lässt er Franz seine Träume aufschreiben, die Seethaler in beklemmend surrealen Sequenzen ins Bild setzt. Bei Trsnjek lernt Franz alles über das Leben, Tabak und auch den verbotenen Verkauf von „Genuss und Lust“, versteckten Erotikheftchen unter der Ladentheke. Von Anezka lernt er ein paar harte Wahrheiten über die Liebe. Von Freud schließlich, dass beides großen Mut verlangt, weil es bei beidem so viel zu verlieren gibt. Als Trsnjek schließlich, vom Nachbar als Judenfreund denunziert, verhaftet wird und nicht zurückkehrt, ist Franz der neue Trafikant. Und beweist in einer folgenreichen Demonstration von Anstand und Zivilcourage, dass seine Lehrjahre erfolgreich abgeschlossen sind.
(Renée Wieder)
Zwischen Helden- und Glückssuche
Die Kinotrends des Jahres – Vorspann 01/25
Schund und Vergnügen
„Guilty Christmas Pleasures: Weihnachtsfilme“ im Filmstudio Glückauf Essen – Foyer 12/24
„Das Ruhrgebietspublikum ist ehrlich und dankbar“
Oliver Flothkötter über „Glückauf – Film ab!“ und Kino im Ruhrgebiet – Interview 12/24
Besuchen Sie Europa
Die Studie Made in Europe und ihre Folgen – Vorspann 12/24
Hagener Bühne für den Filmnachwuchs
„Eat My Shorts“ in der Stadthalle Hagen – Foyer 11/24
Ruhrgebietsfilmgeschichte erleben
„Glückauf – Film ab!“ im Essener Ruhr Museum
Zermürbte Gesellschaft
choices preview zu „Critical Zone“ im Odeon – Foyer 11/24
Die ganze Palette Kino
9. European Arthouse Cinema Day – Festival 11/24
Filmfestivalmonat November
Mit der Duisburger Filmwoche, Doxs! und dem Blicke – Filmfestival des Ruhrgebiets – Vorspann 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Liebe und Macht
choices preview zu „Power of Love“ in der Filmpalette – Foyer 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
„Die Geschichte ist jetzt unfassbar aktuell“
Regisseur Andreas Dresen über „In Liebe, Eure Hilde“ – Gespräch zum Film 10/24
Reise in die Seele des Kinos
Die Ausstellung „Glückauf – Film ab“ in Essen – Vorspann 10/24
Programmkollaps
Vergraulen immer komplexere Kinoprogramme das Publikum? – Vorspann 09/24
Zurück zum Film
Open-Air-Kinos von Duisburg bis Dortmund – Vorspann 08/24
Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Kölner Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24
Lichtspiele mit Charme
Eröffnung der Ausstellung „Glückauf – Film ab!“ im Ruhr-Museum – Foyer 07/24
„Poor Things“, reiches Cannes
Eine Bilanz der ersten sechs Kinomonate – Vorspann 07/24
„Es geht um Geld, Gerechtigkeit und Gemeinschaft“
Regisseurin Natja Brunckhorst über „Zwei zu eins“ – Gespräch zum Film 07/24
Der Tod, der uns verbindet
NRW-Premiere von Eva Trobischs „Ivo“ – Foyer 06/24
Ewige Stadt, ewiges Kino
In Rom werden aus alten verlassenen Kinos wieder Kinos – Vorspann 06/24
Ein letzter Blick von unten
„Vom Ende eines Zeitalters“ mit Filmgespräch im Casablanca Bochum
„Wir erlebten ein Laboratorium für ein anderes Miteinander“
Carmen Eckhardt über „Lützerath – Gemeinsam für ein gutes Leben“ – Portrait 05/24
Grusel und Begeisterung
„Max und die wilde 7: Die Geister Oma“ mit Fragerunde in der Schauburg Dortmund