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Dogville

Dogville
Dänemark, Schweden, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Niederlande 2003, Laufzeit: 178 Min., FSK 12
Regie: Lars von Trier
Darsteller: Nicole Kidman, Harriet Andersson, Lauren Bacall, Jean-Marc Barr, Paul Bettany, Blair Brown, James Caan, Patricia Clarkson, Jeremy Davies, Ben Gazzara, Philip Baker Hall, Siobhan Fallon, John Hurt, Zeljko Ivanek

Lars von Trier ist alles andere als ein Dogma-tiker. Das werden Diejenigen, die den strategischen Kunstgriff seiner Dogma-Aktion all zu wörtlich genommen haben, nicht verstehen. Es hilft aber, seine Filme anzugucken: Gemeinsamkeiten wird man zwischen der Post-New-Wave Ästhetik in "Element of Crime", den (missglückten) digitalen Spielereien in "Europa", der surrealistischen Allegorie in "The Kingdom", dem dramatischen Tal der Tränen in "Breaking the Waves", dem brutalen Realismus in "Idioten" oder dem Realismus-Fantasy-Clash im Musical "Dancer in the Dark" nur wenige ausmachen können. Auch "Dogville" ist wieder ein komplett neuer ästhetischer Entwurf. Und hatte sich von Trier seit "Breaking the Waves" etwas im Thema der Märtyrerin, des passiven weiblichen Opfers verfangen, so hat er sich mit seinem neuen Film aus dieser Sackgasse wieder befreien können (auch wenn es zunächst nicht danach aussieht) und stellt nun die Frage der moralischen Verantwortung. Dogville ist eine Bühneninszenierung. Der gesamte, 180 Minütige Film ist im Studio gedreht. Man sieht den Studioboden, auf dem der Grundriss des Dorfes (Häuser und die einzelnen Zimmer, Straßen, Büsche) aufgemalt ist und per Schrift gekennzeichnet ist ("Elms Road", Tom's House" usw.). Einige wenige Wände, die Holzstützen der Mine, in der sich Grace (Nicole Kidman) anfänglich versteckt oder die Kirchturmspitze (frei in der Luft schwebend) markieren handlungsbezogen den Raum. In diesem Raum agieren und sprechen die Schauspieler (u.a. Lauren Bacall u. Jean-Marc Barr), umrahmt von einem nicht fassbaren Weiß, einem 'Nichts'. Aus diesem offenen Raum greift sich die Kamera einzelne Handlungselemente heraus, die durch eine aufwendige Beleuchtung betont werden. Wenn die Kamera jedoch die Totale wählt, kann man zugleich auch immer alles andere sehen: keine Wände versperren die Sicht. Diese offene Inszenierung ist weit mehr als ein ästhetischer Gag, denn sie steht immer im Dienst der Handlung. Von Trier kann mit Hilfe dieser Inszenierung die Dorfgemeinschaft in ihrer Funktion erfassen: als eine Gemeinschaft, die zwar individuelle Handlungen zulässt, die aber sehr genau beobachtet, und sehr genau darauf achtet, dass die Gemeinschaft homogen funktioniert und von äußeren wie inneren Gefahren verschont bleibt. Grace stellt eine solche Gefahr dar, und in regelmäßigen Abständen trifft sich die Gemeinschaft, um offen über die nächsten Entscheidungen abzustimmen. Auch sonst ist jeder für jeden sichtbar (auch wenn das die Schauspieler nicht spielen – wir sehen es und erfahren so die Funktion dieser kleinen Gemeinde!). Und wenn schließlich einer der Bewohner Grace vergewaltigt, während drum herum das gewöhnliche Dorfleben weitergeht, dann offenbart die Inszenierung seine ganze Kraft: es wird klar, das eigentlich jeder alles mitbekommt (bzw. mitbekommen könnte, wenn er/sie wollte) in diesem kleinen Dorf, und das keiner unschuldig an den dramatischen Entwicklungen ist. Daher lässt Grace am Ende auch keine Entschuldigungen gelten: weder vermeintlich gute Absicht, noch Unwissenheit noch unreflektiertes Handeln. Unschuldig ist keiner. Die daraus folgende drastische Konsequenz ist eine jener Provokationen, die Gegner von Lars von Triers Kino so gerne missverstehen.

(Christian Meyer)

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