Gone Baby Gone - Kein Kinderspiel
USA 2007, Laufzeit: 115 Min., FSK 16
Regie: Ben Affleck
Darsteller: Ed Harris, Michelle Monaghan, Casey Affleck, Morgan Freeman, Robert Wahlberg, Amy Madigan, John Ashton, Mark Margolis
In Boston wird ein Kind entführt. Angesichts der drogenabhängigen Mutter ist dem Schicksalslauf nicht jeder böse. Ein Detektiv und seine Freundin ermitteln. Ben Affleck führt hier erstmals Regie.
Liest man momentan über Ben Affleck, erschließt sich der Eindruck, er hätte nur „Good Will Hunting“ (1997) und „Die Hollywood Verschwörung“ (2006) gemacht. Zwei Filme, für die er als Autor und Nebendarsteller Preise und Kritikerlob einheimste. Dass er zwischen 1997 und 2006 zunehmend als konturlose Beau-Staffage durch teure Mainstream-Flops („Paycheck“, „Pearl Harbour“) stakste, ramponierte indes sein Image nachhaltig. Einer der ersten Filme, in denen Ben Affleck spielte, hieß „Der Außenseiter“. Das war 1992. Seitdem entfernte er sich konsequent von dieser Rolle. Es gab Zeiten, da hätte die choices-Redaktion den Kopf darüber geschüttelt, einen Affleck-Film in die engere Auswahl zum Film des Monats einzubeziehen (ist aber auch ein magerer Monat, oder? / die Redaktion). Aber in Wahrheit ist sie da ja selbstverständlicher- und glücklicherweise prinzipiell unvoreingenommen: Nach selbstironischen Rollen in jüngster Vergangenheit („Die Hollywood Verschwörung“, „Smokin Aces“) überzeugt Affleck nun also plötzlich mit seinem Regie-Debüt: „Gone Baby Gone“.
Der Mensch als Abbild seiner Umgebung
Die Geschichte, derer sich Ben Affleck bedient, stammt aus der Feder des „Mystic River“-Autoren Dennis Lehane und ist im schmuddeligen Arbeitslosen-Milieu Bostons angesiedelt. Ungeschönt zeigt Affleck verlebte Sozialfälle, zeigt den Menschen als hässliches Abbild seiner Umgebung. Mitten drin: Die alleinerziehende, drogensüchtige Mutter Helene. Eines Tages verschwindet deren vierjährige Tochter Amanda. Amandas Tante Beatrice wendet sich an die Privatdetektive Patrick Kenzie (Casey Affleck) und Angela Gennaro (Michelle Monaghan), die auch privat liiert sind. Anders als die Polizei unter der Führung von Jack Doyle (Morgan Freeman) hat Kenzie weitreichende Kontakte im Viertel, die die Suche nach dem vermissten Kind erleichtern. Die gestaltet sich umso schwieriger, da die Entführer im Verborgenen bleiben und keinerlei Lösegeldforderungen stellen. Der Start des Films wurde in England übrigens wegen der Nähe zum Fall von Maddie McCann ausgesetzt.
Kinobesuch als emotionale Grenzerfahrung
Der vermeintliche Krimi entpuppt sich nach und nach als spannendes Sozialdrama, das zunehmend die Debatte dahingehend aufwirft, inwiefern die Entführung dem gekidnappten Kind angesichts des asozialen Umfelds eher nützt als schadet. Das Detektivpärchen verwickelt sich selbst in die zermürbende Diskussion um das kleinere Übel und liefert beidseitig Argumente, die den Kinobesuch noch anhaltend nachhallen und den Zuschauer zwischen Rechtsstaatlichkeit und Rechtsempfinden, zwischen Doppelmoral und Bevormundung tappen lassen. Der Kinobesuch wird dabei zur emotionalen Grenzerfahrung, die Affleck sorgsam durchdacht unspektakulär, atmosphärisch und auch musikalisch mit leisen Tönen zelebriert. Die Besetzung Kenzies durch Afflecks Bruder Casey (der gerade erst in „Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford“ angenehm auffiel), der sich so still und heiser wie hartnäckig durchs Milieu schnüffelt, ist dabei so konsequent wie gelungen.
Der einzige Vorwurf, den man Dramen wie diesen machen kann, ist, dass sie erzieherische Vernachlässigung bevorzugt auf ein bestimmtes, soziales Milieu, sprich, wie in diesem Fall, auf die sogenannte Unterschicht reduzieren. Prominente Pop-Größen zeigen sich in solchen Fällen ja bekanntlich vergleichbar überfordert, und zuletzt ist Drogenmissbrauch nicht nur und überhaupt nicht zwingend ein Tatbestand der geistig Armen. Das wiederum behauptet natürlich nicht der einzelne Film an sich, und damit auch nicht „Gone Baby Gone“, sondern Filme wie diese in ihrer Gesamtheit.
In Bezug auf Ben Affleck wird jedenfalls neben „Good Will Hunting“ und „Die Hollywood Verschwörung“ zukünftig auch „Gone Baby Gone“ positiv im Gedächtnis bleiben. Und der weckt zugleich die Erwartung, dass es nicht der dritte und letzte ernst zu nehmende Film vom einstigen Hollywood-Beau bleiben muss.
(Hartmut Ernst)
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