Howl - Das Geheul
USA 2010, Laufzeit: 90 Min., FSK 12
Regie: Rob Epstein, Jeffrey Friedman
Darsteller: James Franco, David Strathairn, Jon Hamm, Bob Balaban, Todd Rotondi, Aaron Tveit, Jon Prescott, Mary-Louise Parker, Jeff Daniels, Alessandro Nivola, Treat Williams
Vielfältiges Künstler-Drama
Die besten Köpfe einer Generation
"Howl - Das Geheul" von Rob Epstein und Jeffrey Friedman
1957 wird der Verleger des Dichters Allen Ginsberg angeklagt, weil dieser das angeblich obszöne Werk „Howl“ veröffentlicht hat. Der Prozess ist für die Entstehung der amerikanischen Gegenkultur der 60er Jahre von großer Bedeutung.
Die Beat-Generation um Jack Kerouac wirkte schon seit zehn Jahren, doch erst in der zweiten Hälfte der 50er Jahre wurden sie richtig populär. Kerouac schrieb bereits 1951 „On the Road“ (dt. „Unterwegs“), der Roman erschien aber erst 1957, im gleichen Jahr wie Allen Ginsbergs zwei Jahre zuvor geschriebener Gedichtband „Howl“. Während „On the Road“ gleich ein Erfolg war, wurde Ginsbergs Gedichtband kurz nach Erscheinen erst einmal von der Polizei beschlagnahmt. Der Verleger Lawrence Ferlinghetti wurde angeklagt, obszöne Schriften zu veröffentlichen. Der Kommunistenjäger McCarthy war gerade erst im Mai gestorben, da flackerte noch einmal die Intoleranz der 50er Jahre auf. Der Prozess geriet zum vielbeachteten Präzedenzfall für die Freiheit der Kunst.
Facettenreiche Perspektive
Die Regisseure Epstein und Friedman spiegeln die Ereignisse beziehungsweise deren Hintergründe auf verschiedenen Erzählebenen. Zum einen inszenieren die Regisseure die Verhandlung mit ihren zahlreichen literaturwissenschaftlichen Gutachtern und einem bewegenden Plädoyer des Verteidigers Jake Ehrlich (Jon Hamm, bekannt als Dick Draker aus der Fernsehserie „Mad Men“) auf der Basis von Gerichtsakten. Diese Szenen sind in einen braun-gelben Farbton getaucht. Zum anderen sehen wir in blau-grünstichigen Bildern ein auf Zeitungsinterviews basierendes, fiktives Interview mit Ginsberg, der in seiner Wohnung auf den Ausgang der Verhandlung wartet und Innenansichten in seine Künstlerseele preisgibt. Neben diesen beiden parallelen Handlungssträngen gibt es noch in „dokumentarischem“ Schwarzweiß gehaltene Szenen aus dem Leben von Ginsberg, die im Zusammenhang mit der Entstehung oder den Folgen von „Howl“ stehen. Diese drei realistischen Ebenen werden nun von einer vierten durchkreuzt. Den ehemaligen Ginsberg-Mitarbeiter Eric Drooker konnten die Regisseure für assoziative Animationen gewinnen. Entstanden sind überbordende, surreale Visualisierungen des Gedichts, das nicht nur in den Spielfilmszenen, in denen der junge Ginsberg sein Gedicht in rauchigen Clubs vor Publikum vorträgt, sondern auch hier mantramäßig wiederholt wird. Immer wieder sind die berühmten ersten Zeilen zu hören: „Ich sah die besten Köpfe meiner Generation zerstört vom Wahnsinn, ausgemergelt hysterisch nackt, wie sie sich im Morgengrauen durch die Negerviertel schleppten auf der Suche nach einer wütenden Spritze“. Jazz und Drogen waren zentrale Inspirationsquellen für die Beatniks Kerouac, Ginsberg und William S. Burroughs („Naked Lunch“).
Diskursive Auseinandersetzung
„Howl“ erzählt nicht nur von einem Künstler und seinem Werk. Der Film ist auch ein Generationenportrait, das die Bohème und ihren Kampf für die Freiheit der Kunst kurz vor dem Siegeszug der Gegenkultur in den 60er Jahren portraitiert. Allerdings geht es den Regisseuren nicht um eine möglichst objektive Rekonstruktion der historischen Ereignisse. In den Kinos waren zuletzt zahlreiche Biopics zu sehen, die mit Blick auf die Vergangenheit vorrangig historische Ereignisse nacherzählen wollten. Dabei kam meist eine Geschichte heraus, die den dramaturgischen Konventionen von Spielfilmen Rechenschaft trägt. Die Regisseure Epstein und Friedman haben anderes im Sinn. Ihre Erzählstruktur bricht das Konstrukt einer Geschichte auf. Sie liefern eher eine vielgestaltige Materialsammlung.
Nur die wenigen Schwarzweiß-Szenen orientieren sich an der ungebrochenen, subjektorientierten Aufbereitung von Historie. In ihnen sehen wir prägende Szenen aus dem Leben von Ginsberg. Sein Kontakt mit Carl Solomon, den er in der Psychiatrie kennenlernt und der Inspiration war für Howl, seine heimliche Liebe zu Neil Cassady (John Prescott), der bereits in Kerouacs „On the Road“ eine zentrale Rolle einnahm und 20 Jahre später in Tom Wolfs „The Electric Cool Aid Acid Test“ wieder als Mitstreiter von Ken Kesey („Einer flog über das Kuckucksnest“) auftritt. Das in Farbe gedrehte Interview mit Ginsberg ist eine Collage zum intellektuellen und emotionalen Schaffensprozess. Die Animationen zu der Rezitation von „Howl“ – übrigens komplett von Ginsberg-Darsteller James Franco („Spider-Man“, „Milk“) vorgetragen – sind als zeichnerische, beziehungsweise filmische Adaption eine Interpretation des Gedichtes. Die Gerichtsszene ist wiederum eine diskursive Auseinandersetzung mit den Fragen nach der Freiheit der Kunst, die nicht nur historischer Natur sind, sondern einen immer noch aktuellen Kern haben. Epstein und Friedman, die bislang zwei Oscars und viele weitere Preise für ihre Dokumentationen erhalten haben, liefern einen kaleidoskopartigen Blick auf ihre Themen. Mit ihrem nächsten gemeinsamen Projekt „Lovelace“ widmet sich das Regieduo der Pornodarstellerin Linda Lovelace aus dem erfolgreichsten Pornofilm aller Zeiten – „Deep Throat“ von 1972. Dass ihre Annäherung an das Thema eindimensional oder voyeuristisch wird, muss man wohl kaum befürchten.
Zwischen Helden- und Glückssuche
Die Kinotrends des Jahres – Vorspann 01/25
Schund und Vergnügen
„Guilty Christmas Pleasures: Weihnachtsfilme“ im Filmstudio Glückauf Essen – Foyer 12/24
„Das Ruhrgebietspublikum ist ehrlich und dankbar“
Oliver Flothkötter über „Glückauf – Film ab!“ und Kino im Ruhrgebiet – Interview 12/24
Besuchen Sie Europa
Die Studie Made in Europe und ihre Folgen – Vorspann 12/24
Hagener Bühne für den Filmnachwuchs
„Eat My Shorts“ in der Stadthalle Hagen – Foyer 11/24
Ruhrgebietsfilmgeschichte erleben
„Glückauf – Film ab!“ im Essener Ruhr Museum
Zermürbte Gesellschaft
choices preview zu „Critical Zone“ im Odeon – Foyer 11/24
Die ganze Palette Kino
9. European Arthouse Cinema Day – Festival 11/24
Filmfestivalmonat November
Mit der Duisburger Filmwoche, Doxs! und dem Blicke – Filmfestival des Ruhrgebiets – Vorspann 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Liebe und Macht
choices preview zu „Power of Love“ in der Filmpalette – Foyer 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
„Die Geschichte ist jetzt unfassbar aktuell“
Regisseur Andreas Dresen über „In Liebe, Eure Hilde“ – Gespräch zum Film 10/24
Reise in die Seele des Kinos
Die Ausstellung „Glückauf – Film ab“ in Essen – Vorspann 10/24
Programmkollaps
Vergraulen immer komplexere Kinoprogramme das Publikum? – Vorspann 09/24
Zurück zum Film
Open-Air-Kinos von Duisburg bis Dortmund – Vorspann 08/24
Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Kölner Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24
Lichtspiele mit Charme
Eröffnung der Ausstellung „Glückauf – Film ab!“ im Ruhr-Museum – Foyer 07/24
„Poor Things“, reiches Cannes
Eine Bilanz der ersten sechs Kinomonate – Vorspann 07/24
„Es geht um Geld, Gerechtigkeit und Gemeinschaft“
Regisseurin Natja Brunckhorst über „Zwei zu eins“ – Gespräch zum Film 07/24
Der Tod, der uns verbindet
NRW-Premiere von Eva Trobischs „Ivo“ – Foyer 06/24
Ewige Stadt, ewiges Kino
In Rom werden aus alten verlassenen Kinos wieder Kinos – Vorspann 06/24
Ein letzter Blick von unten
„Vom Ende eines Zeitalters“ mit Filmgespräch im Casablanca Bochum
„Wir erlebten ein Laboratorium für ein anderes Miteinander“
Carmen Eckhardt über „Lützerath – Gemeinsam für ein gutes Leben“ – Portrait 05/24
Grusel und Begeisterung
„Max und die wilde 7: Die Geister Oma“ mit Fragerunde in der Schauburg Dortmund