Jahrhundertfrauen
USA 2016, Laufzeit: 119 Min., FSK 0
Regie: Mike Mills
Darsteller: Annette Bening, Elle Fanning, Greta Gerwig, Billy Crudup, Lucas Jade Zumann
>> jahrhundertfrauen-film.de
Kluges und einfühlsames Mehrgenerationen-Porträt
Dreieck der Standpunktbestimmung
„Jahrhundertfrauen“ von Mike Mills
Hört die Kindheit endgültig auf, wenn der Wagen, mit dem man als Neugeborener von der Klinik nach Hause gefahren wurde, in Flammen aufgeht? Fast hat es den Anschein, denn als der 15-jährige Jamie (Lucas Jade Zumann) an diesem Tag auf dem Parkplatz den alten Ford seiner Mutter Dorothy (Annette Bening) in Flammen aufgehen sieht und sie daraufhin die netten Männer von der Feuerwehr zum Dinner einlädt, keimt in ihr ein Plan: Jamie soll ein guter, moderner, einfühlsamer Mann werden. Doch einen Vater als Vorbild gibt es nicht, und sie selber hat in letzter Zeit das Gefühl, den Kontakt zu ihrem pubertierenden Sohn zu verlieren. Also wendet sich Dorothy an die Frauen, die Jamie am nächsten stehen. Das ist zum einen Jamies beste Freundin seit Kindheitstagen, die 17-jährige Julie (Elle Fanning, „The Neon Demon“), in die Jamie aber leider inzwischen unsterblich verliebt ist. Zum anderen ist das die Untermieterin Abbie (Greta Gerwig einmal in einer angenehm unneurotischen Rolle). Abbie hat als angehende Fotografin die Frühzeit von Punk in New York hautnah miterlebt. Wegen einer Krebserkrankung hat sie sich aber nun an die Westcoast zurückgezogen. Eigentlich gäbe es mit dem zweiten Untermieter William (Billy Crudup) noch einen geeigneten männlichen Kandidaten für die Erziehung ihres Sohnes, denn William ist als ehemaliger Aussteiger und Kommunarde ein äußerst hilfsbereiter, sensibler und verständnisvoller Mensch. Aber Jamie interessiert sich kein bisschen für William.
Das vorweg: Der deutsche Verleihtitel weist – wie so oft – in eine falsche Richtung. Die sehr freie Übersetzung des Originaltitels „20th Century Women“, also wörtlich: Frauen des 20. Jahrhunderts, setzt leider einen Akzent, der in die Irre führt. Während der deutsche Titel nach einem feministischen Tageskalender klingt, der an historische Persönlichkeiten, ‚Überfrauen‘, die ihre Spur in der Geschichte hinterlassen haben, erinnert, geht es in „20th Century Women“ zwar auch um beeindruckende Frauen, aber es geht vor allem um den Alltag. Und es geht um verschiedene Generationen von Frauen, die den Feminismus mehr oder weniger explizit leben und verteidigen oder ihre eigene Rolle darin noch suchen. Dorothea ist schon zu alt, um die Gegenkultur wirklich miterlebt zu haben – im Summer of Love 1967 war sie bereits 43 Jahre alt. Sie ist eine selbstbewusste, alleinstehende Frau, die als Grafikdesignerin arbeitet und mit einer erlernten Kühle, aber nicht unbedingt selbstreflektiert ihr Lebensmodell und ihre Position verteidigt. Abbie hat die Hippiezeit noch miterlebt und dann voll die Entstehung von Punk erwischt. Sie handelt sehr bewusst und reflektiert. Julie ist schließlich typische Generation X und wächst vollkommen orientierungslos in die 80er Jahre hinein.
Nach „Beginners“ ist auch Mike Mills neuer Film autobiografisch geprägt. Mills, der spät ins Regiefach wechselte, ist ebenso multimedial aktiv wie seine Frau, die Künstlerin, Filmemacherin und Autorin Miranda July. Als Graphiker hat er Cover für zahlreiche Bands wie Sonic Youth, Beastie Boys, Air, die sogar einen Track nach ihm benannten, und viele mehr gestaltet und dann auch Videoclips für zahlreiche Bands gedreht. 2005 debütierte er dann im Alter von 39 Jahren mit seinem Spielfilm „Thumbsucker“ im Kino. Der sympathische, collagenhaften Blick des Films auf dezentes Außenseitertum war stilprägend für seine kommenden Filme. Mit „Beginners“ widmete er fünf Jahre später seinem Vater, der sich mit 75 Jahren als Schwul outete, einen Film (Ewan McGregor spielt hier Mills‘ Alter Ego). Im Zentrum seines neuen Films „Jahrhundertfrauen“ steht hingegen seine Mutter, die ihm wesentlich näherstand als der meist abwesende Vater. Und dennoch ist da diese Mauer zwischen Mutter und Sohn, die weniger eine Frage der Geschlechter als eine der Generationen ist. Mike Mills umkreist die Mauern zwischen den Generationen elegant und liebevoll und lässt die kulturellen, sozialen und politischen Umbrüche der späten 70er Jahre auch immer wieder mit Archivmaterial auferstehen.
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