Julia (2007)
Frankreich 2007, Laufzeit: 138 Min.
Regie: Erick Zonca
Darsteller: Tilda Swinton, Saul Rubinek, Aidan Gould, Kate Del Castillo, Jude Ciccolella, Bruno Bichir, Horacio García Rojas, Gastòn Peterson, Mauricio Moreno, Kevin Kilner, Ezra Buzzington, Roger Cudney, Eugene Byrd, Sandro Kopp
Julia ist Alkoholikerin. Als ihr eine Frau einen Deal vorschlägt, verspricht das viel Geld: Sie soll einen kleinen Jungen entführen. Der Herausforderung ist sie allerdings überhaupt nicht gewachsen.
Julia tanzt ausgelassen in der Disco. Am Morgen danach liegt sie mit einem Unbekannten in dessen Auto. Er will sie schnell loswerden. Julia torkelt auf ihren Highheels davon. Sie kann sich an die Nacht nicht erinnern. So sieht der Alltag der 40jährigen Alkoholikerin aus. Ihren Job hat sie gerade verloren. Freunde hat sie nicht, Bestätigung findet sie durch ihre One-Night-Stands. Mehr gibt es nicht in ihrem Leben. Als ihre mexikanische Nachbarin Elena sie bittet, bei einer Kindesentführung zu helfen, lehnt Julia zunächst brüskiert ab. Der Junge ist Elenas Sohn Tom, der bei dem reichen Großvater aufwächst. Sie darf ihn nicht sehen. Das ihr angebotene Geld vor Augen willigt Julia schließlich ein. Schnell kommt ihr die Idee, Elena auszutricksen und stattdessen Lösegeld vom Großvater zu kassieren. Doch gleich zu Beginn gerät ihr die Entführung außer Kontrolle. Den Begleiter überfährt sie, Tom behandelt sie grob, hält ihm die Waffe an den Kopf oder gibt ihm Schlaftabletten, damit er ruhig ist. Wir sehen keine Frau, die beim Anblick eines Kindes sofort Muttergefühle empfindet. Im Gegenteil: Julia ist ein Mensch, der überhaupt nicht mehr viel empfindet. Für andere schon gar nicht. Empathie ist aus ihrem Gefühlshaushalt gestrichen, Egomanie bestimmt ihr komplett befremdliches Handeln. Den Wandel Julias leitet Zonca mit einem Bruch ein, der demonstrativ alle Vorzeichen ändert: Als sie, gejagt von der Polizei, durch einen Grenzzaun bricht, bricht sie gleichsam in einen neuen Film auf. Neustart: In der Fremde nimmt sie Tom als Jungen wahr und sich wieder als Mensch mit Gefühlen.
Erick Zonca begeisterte vor zehn Jahren mit seinem Debüt „Liebe das Leben“. Ein Jahr später folgte der Fernsehfilm „Der kleine Dieb“. Dann war von ihm nichts mehr zu hören. Umso erstaunlicher ist es, nun eine amerikanische Produktion von ihm zu sehen, die zudem in der Hauptrolle mit der großartigen Tilda Swinton besetzt ist. Swinton, die gerade ihren ersten Oscar für ihre Nebenrolle in George Clooneys „Michael Clayton“ gewonnen hat, trägt als Julia den gesamten Film. Die Figur der Alkoholkranken, die asozial durch ihr chaotisches Leben wankt und sich immer weiter ins Chaos verstrickt, spielt Swinton mit erbarmungsloser Intensität. Man fühlt sich unvermittelt an Gena Rolands Glanzleistungen in den 70er Jahren erinnert. Zoncas Kunstgriff, seinen Film zu halbieren, mag so manchen Zuschauer verstören. Er zieht den Zuschauer damit aber in einen beängstigend rohen Thriller. Und zeigt zugleich mit Julia und Tom zwischen blendend weißen Laken einen der zärtlichsten Kinomomente der letzten Zeit.
(Christian Meyer)
Zwischen Helden- und Glückssuche
Die Kinotrends des Jahres – Vorspann 01/25
Schund und Vergnügen
„Guilty Christmas Pleasures: Weihnachtsfilme“ im Filmstudio Glückauf Essen – Foyer 12/24
„Das Ruhrgebietspublikum ist ehrlich und dankbar“
Oliver Flothkötter über „Glückauf – Film ab!“ und Kino im Ruhrgebiet – Interview 12/24
Besuchen Sie Europa
Die Studie Made in Europe und ihre Folgen – Vorspann 12/24
Hagener Bühne für den Filmnachwuchs
„Eat My Shorts“ in der Stadthalle Hagen – Foyer 11/24
Ruhrgebietsfilmgeschichte erleben
„Glückauf – Film ab!“ im Essener Ruhr Museum
Zermürbte Gesellschaft
choices preview zu „Critical Zone“ im Odeon – Foyer 11/24
Die ganze Palette Kino
9. European Arthouse Cinema Day – Festival 11/24
Filmfestivalmonat November
Mit der Duisburger Filmwoche, Doxs! und dem Blicke – Filmfestival des Ruhrgebiets – Vorspann 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Liebe und Macht
choices preview zu „Power of Love“ in der Filmpalette – Foyer 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
Reise in die Seele des Kinos
Die Ausstellung „Glückauf – Film ab“ in Essen – Vorspann 10/24
„Die Geschichte ist jetzt unfassbar aktuell“
Regisseur Andreas Dresen über „In Liebe, Eure Hilde“ – Gespräch zum Film 10/24
Programmkollaps
Vergraulen immer komplexere Kinoprogramme das Publikum? – Vorspann 09/24
Zurück zum Film
Open-Air-Kinos von Duisburg bis Dortmund – Vorspann 08/24
Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Kölner Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24
„Poor Things“, reiches Cannes
Eine Bilanz der ersten sechs Kinomonate – Vorspann 07/24
Lichtspiele mit Charme
Eröffnung der Ausstellung „Glückauf – Film ab!“ im Ruhr-Museum – Foyer 07/24
„Es geht um Geld, Gerechtigkeit und Gemeinschaft“
Regisseurin Natja Brunckhorst über „Zwei zu eins“ – Gespräch zum Film 07/24
Der Tod, der uns verbindet
NRW-Premiere von Eva Trobischs „Ivo“ – Foyer 06/24
Ewige Stadt, ewiges Kino
In Rom werden aus alten verlassenen Kinos wieder Kinos – Vorspann 06/24
Ein letzter Blick von unten
„Vom Ende eines Zeitalters“ mit Filmgespräch im Casablanca Bochum
„Wir erlebten ein Laboratorium für ein anderes Miteinander“
Carmen Eckhardt über „Lützerath – Gemeinsam für ein gutes Leben“ – Portrait 05/24
Grusel und Begeisterung
„Max und die wilde 7: Die Geister Oma“ mit Fragerunde in der Schauburg Dortmund