La Grande Bellezza
Italien, Frankreich 2013, Laufzeit: 142 Min., FSK 12
Regie: Paolo Sorrentino
Darsteller: Toni Servillo, Carlo Verdone, Sabrina Ferilli,Iaia Forte, Isabella Ferrari, Vernon Dobtcheff
>> www.lagrandebellezza.de
Ein moderner Fellini
Sterbende Schönheit
„La Grande Bellezza“ von Paolo Sorrentino
Im Portraitieren eben jener poetischen Momentaufnahmen liegt die große Stärke des italienischen Regisseurs Paolo Sorrentino, Stammgasts im Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes, der schon mit der Politsatire „Il Divo“ und dem melancholischen Roadmovie „Cheyenne – This Must Be the Place“ zu begeistern wusste. Kaleidoskopisch entfaltet sich seine ebenso ästhetisch brillante wie wehmütige Hommage an die Stadt des „Dolce Vita“. Wie schon Marcello Mastroianni ist auch Sorrentinos Hauptfigur primär ein Beobachter des boulevardesken Treibens der zügellosen Oberschicht, getrieben von schriftstellerischen Ambitionen, durch dessen Blick wir in das pulsierende Leben der italienischen Metropole hineingeworfen werden. Jep Gambardella (Toni Servillo) ist jedoch schon lange Teil dieser Welt der zweifelhaften Schönheit und des Exzesses und ihrer auf tragische Weise überdrüssig. Kein rasender Reporter, sondern eine schillernde Institution der High Society, deren Anwesenheit über Gelingen oder Scheitern einer Party entscheiden kann. Seine Kolumne spiegelt die Leichtigkeit und Oberflächlichkeit einer Elite wider, die sich um nichts anderes schert, als sich selbst zu feiern. Doch der 65ste Geburtstag des ewigen Junggesellen beschwört einige existenzielle Fragen herauf, die er jahrzehntelang zwischen schönen Frauen und rauschenden Festen verdrängt hat: Was bleibt, wenn man auf sein Leben zurückblickt, übrig? Was hat man bewegt, wodurch wurde man selbst ergriffen? Einst hat er einen Roman veröffentlicht, der ihn zu einem der vielversprechendsten Debütautoren des Landes machte, und noch vierzig Jahre später konfrontieren die Bewunderer Jep mit der Frage, was aus dieser Karriere geworden ist. Doch es gibt keine Antwort darauf. Wie auch bei Fellini scheint es um verschwendetes Talent und verschwendetes Leben im großen Stil zu gehen, das melancholische Meditieren über eine tiefgreifende Schaffenskrise.
Eine Liebeserklärung an die ewige Stadt
Die Nachricht eines plötzlichen Todes wirft Jep schlagartig in die Vergangenheit zurück: Der langjährige Ehemann seiner ersten großen Liebe sucht ihn auf, um seine Fassungslosigkeit darüber zum Ausdruck zu bringen, dass diese in ihren Tagebüchern mehr über die flüchtige Affäre zu Jep in ihrer Jugend sinniert hat als über die Beziehung zu ihm, was in dem charmanten Nihilisten die Erinnerung an den Glanz und die Schönheit früherer Tage heraufbeschwört. Tief berührt streift er durch die leuchtende Stadt, die ihm in ihrer Sinnlichkeit noch einmal das Gefühl unendlicher Möglichkeiten und Erhabenheit vermittelt, die er einst verspürte, als er ein junges Mädchen an einem Sommertag am Meer küsste. In einem Stripclub trifft er auf die wesentlich jüngere Tänzerin Ramona (Sabrina Ferilli), der er sich aus unerfindlichen Gründen nahe fühlt und die ihn bei seiner Odyssee durch die Stadt begleitet. Kameramann Luca Bigazzi katapultiert uns in dynamischen Fahrten durch ausschweifende Partys mit Euro-Dance-Trash über den Dächern der Stadt und ebenso entlang der jahrtausendealten, imposanten Architektur, die das Treiben stoisch zu ertragen scheint, getragen von sakraler Musik, die das Heilige mit dem Obszönen kontrastiert. Berlusconis Bunga-Bunga samt korrupter Polit-Eliten trifft auf äußerst weltliche Kleriker, alberne Performance-Künstler, resignierte Idealisten, bizarre Paradiesvögel, zerbrechliche Liebende und die Schönheit einer Stadt, die nicht nur Fellini inspiriert hat, doch dessen Vision von ihr hier eine würdige Aktualisierung erfährt.
Das süße Nichts
Auch das Werk des großen Ettore Scola („La terrazza“) wird aufgerufen, wenn sich die einstmals linksintellektuellen Weggefährten auf Jeps riesiger Terrasse mit Blick auf das Kolosseum versammeln, wo sich auf ebenso sarkastische Weise wie im Vorbild (ebenfalls mit Marcello Mastroianni in der Hauptrolle) die Korrumpiertheit der Kulturindustrie offenbart. Und auch Sorrentino hütet sich davor, seinen Charakteren eine dramatische Wandlung aufzuzwingen – so sehr Jep sich auch auf der Suche nach einer tiefgreifenden Erkenntnis befindet, so ungreifbar bleibt sie doch für ihn und den Zuschauer in einem Sog der vielgestaltigen Emotionen. Grandios spiegelt sich im stets subtil-melancholischen Blick Toni Servillos die Sehnsucht nach jener großen Schönheit, die vielleicht nicht in etwas scheinbar Bedeutsamem liegt, sondern in all jenen Momenten des Alltäglichen, für die er nur ein Flaubert-Zitat übrig hat. Der französische Romancier versuchte zeitlebens vergeblich, über das Nichts zu schreiben, und auch bei Jeps Sinnsuche versagen die Worte. Doch Sorrentino lässt sie in magisch anmutenden Bildern Form gewinnen, die dabei nicht verklären und auch das Versagen der italienischen Eliten ironisch auf den Punkt bringen. So gelingt ihm ein zeitgenössisches Portrait der römischen Gesellschaft ebenso wie eine sommerliche Liebeserklärung an eine der schönsten Städte der Welt.
Oscar 2014: Bester nichtenglischsprachiger Film
Europäischer Filmpreis 2013: Bester Film, Beste Regie, Bester Hauptdarsteller, Bester Schnitt
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