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Lust auf Anderes
Frankreich 1999, Laufzeit: 113 Min., FSK 6
Regie: Agnès Jaoui
Darsteller: Alain Chabat, Agnès Jaoui, Wladimir Yordanoff, Anne Alvaro, Gérard Lanvin, Brigitte Catillon, Christiane Millet

Wem Eric Rohmer (zuletzt mit "Herbstgeschichte") zu intellektuell und Etienne Chatilliez ("Das Leben ist ein langer ruhiger Fluss") zu vordergründig komisch ist, der findet in "Lust auf anderes" exakt die richtige Mischung aus beiden Elementen. Wie eine schonungslos satirische Sozialstudie kommt dieses witzige Sittenbild aus der französischen Provinz daher, hinter den ausgefeilten Dialogen und Szenen schimmert jedoch diamantscharfer Esprit, ein fast wissenschaftlicher Ehrgeiz, den Feinheiten und Nuancen im Beziehungsgeflecht der Personen auf die Spur zu kommen. Da ist zum Beispiel Fabrikbesitzer Castella mit Gattin Angélique. Er hat sich behaglich in Wohlstand und Ignoranz einerichtet, seine Frau lässt das reich mit beblümten Tapeten und Polstern ausgestattete Haus in Pastellfarben ersticken. Dem Gefühlsleben der beiden geht es ähnlich. Die gesellschaftliche Stufe darunter werden durch den Chauffeur, einen Bodyguard und den Manager der Firma, einen Eliteschule-Absolventen, repräsentiert. Die haben ihre ganz eigenen Probleme, insbesondere in Liebesdingen, vor allem aber haben sie Schwierigkeiten mit der rauh-herzlichen Art des Selfmade-Manns Castella, der nicht gerade von den Musen geküsst ist. Wie kann es ausgerechnet ihm passieren, dass er bei einer stinknormalen Theateraufführung - eine reiner Pflichtbesuch, weil eine untalententierte Nichte als Statistin mitspielt - plötzlich durch die Hauptdarstellerin zu Tränen gerührt wird? Dass er das Stück noch einmal anschaut, sich in die Garderobe begibt, um seine Bewunderung zu bekunden, und schließlich sogar ihr und ihrer Clique ins Szene-Bistro folgt? Sie heißt Clara, und er hat sich in sie verliebt. Der Zufall will es, dass er - der Manager hatte es ihm nahegelegt - Englischunterricht nimmt und Sara als seine Lehrerin engagiert. Sie hat wie er die Vierzig schon überschritten. Engagements sind selten geworden, und sie muss sich etwas nebenbei verdienen. Unglücklicher und komischer zugleich kann eine Liebesgeschichte kaum sein. Zwischen den beiden liegen Welten. Die Künstler, Schauspieler und Homosexuellen aus Saras Freundeskreis sind für den spießigen Castello eine neue, fremde Welt, in der er sich überhaupt nicht zurecht findet. Sie machen sich über seine ungebildete Art lustig, ohne dass er es merkt. Sara ist seine Anwesenheit peinlich. Doch der Mann lässt nicht locker. Als er am Ende ein Bild kauft - abstrakter Stil, ohne Pastellfarben, ohne Blümchenmuster - und es mitten auf die Wohnzimmerwand hängt, ist allein durch diesen optischen Schock klar: sein Leben hat sich komplett geändert. Doch auch Sara und ihre Freunde in ihrem kulturbeflissenen Dünkel lernen kräftig dazu. Und das tun im Laufe des Films alle Beteiligten. In wundersam verwobenen Episoden machen sie kritische und überraschende Phasen durch, wundern und öffnen sich. Der Reichtum dieses Personenreigens lässt sich in wenigen Zeilen unmöglich beschreiben. Der Film bleibt stets leicht und beschwingt wie ein französisches Chanson. Umgekehrt hat er zweifellos das Gewicht einer präzisen Ethno-Studie über gesellschaftliches Verhalten in mitteleuropäischen Populationen. Spätere Generationen werden sich nur einen solchen Film anschauen müssen, um zu wissen, mit welchen Ritualen sich die Ureinwohner einmal das Leben schwer gemacht haben. Das Drehbuch-Autorenpaar Agnès Jaoui und Jean-Pierre Bacri hatte schon bei Alain Resnais' "Das Leben ist ein Chanson" bewiesen, dass es sein Metier versteht. Bacri spielt selbst den neureichen Castello, Agnès Jaoui glänzt in einer Nebenrolle als Geliebte des Chauffeurs (Gérard Lanvon) und Freundin von Sara (Anne Alvaro). Sie hat in "Lust auf anderes" erstmals auch selber Regie geführt, zu ihren Lieblingsregisseuren gehört Woody Allen. Der Originaltitel "Le goût des autres" hätte eigentlich passender mit "Der Geschmack der Anderen" übersetzt werden müssen. Um die Erfahrung dieses "Anderen" geht es nämlich im Film: er zeigt auf berührende und saukomische Weise, wie fern und fremd und wie nah und vertraut zugleich wir uns sind.

(Heinz Holzapfel)

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