Madame Sidonie in Japan
Frankreich, Deutschland, Japan, Schweiz 2023, Laufzeit: 95 Min., FSK 0
Regie: Élise Girard
Darsteller: Isabelle Huppert, Tsuyoshi Ihara, August Diehl
>> www.madamesidonieinjapan.de/
Midlife-Melancholie trifft Culture Clash
Die Geister, die sie losließ
„Madame Sidonie in Japan“ von Élise Girard
„Are you a writer?“, fragt der Beamte am Flughafen, worauf die einst international gefeierte französische Schriftstellerin Sidonie Perceval (Isabelle Huppert) „Yes and no“ antwortet. Sidonie hat schon lange nichts mehr geschrieben. Seit dem Unfalltod ihres Mannes Antoine (August Diehl) lähmt sie eine Schreibblockade, die einhergeht mit einer Depression. Sidonie fühlt sich leer und antriebslos, zumal Antoine derjenige war, der im ehelichen Alltag die Dinge geregelt hat. Ohne ihn scheint Sidonie fast lebensunfähig zu sein. Als die Einladung ihres japanischen Verlegers Kenzo (Tsuyoshi Ihara) zu einer Lesereise durch Japan eintrifft, lehnt sie also zunächst ab. Zu schwach fühlt sie sich, um eine so lange Reise alleine anzutreten. Doch dass ihr Erstlingswerk nach fast vier Jahrzehnten in Japan eine Neuauflage genießt, kitzelt doch an ihrem Schriftstellerinnen-Stolz. Als Freunde sie drängen und der Verleger zudem verspricht, sie müsse sich um nichts kümmern, nimmt Sidonie die Einladung an.
In Japan angekommen wird sie mit den üblichen im Kino gern gezeigten Bildern und Situationen – und auch immer wieder mit Antoines Geist – konfrontiert. Wann verbeugt man sich wie lange vor wem? Wer steigt zuerst in ein Fahrzeug? Warum sind Hotelfenster immer verriegelt? Und wie geht man mit den allgegenwärtigen Geistern um? Natürlich bewundert Sidonie die Kirschblüten, die Schreine und Tempel, die sanften Nebelschwaden, die vom Wasser hochsteigen und sich um die Hügel legen. Regisseurin Girard bedient sich vieler der üblichen Japanbilder. Doch diese Klischees unterfüttern hier keine Culture-Clash-Komödie, auch wenn dem Publikum hier und da ein Schmunzeln entlockt wird, zum Beispiel wenn Antoines Geist oft im falschen Moment auftaucht. In diesem poetischen, einfühlsamen Film geht es weniger um kulturelle Unterschiede, sondern vielmehr um Gefühle wie Trauer, Verlust und Selbsthinterfragung. Sowie um die Fragen, die sich Menschen ab einem bestimmten Alter immer häufiger stellen, wenn sie auf ihr Leben zurückblicken – egal ob in Europa oder in Japan. Während Sidonie nach dem Tod ihres Mannes völlig aufgelöst ist und in eine Depression zu fallen droht, geht Kenzo, der eine ähnliche Verlusterfahrung erlebt hat, anders damit um. Hier spielen asiatische Spiritualität und der Umgang seiner Kultur mit dem Tod eine entscheidende Rolle.
Die ersten Taxifahrten zu den Lesungen finden fast schweigend statt. Überhaupt wird wenig geredet in diesem Film. Doch mit jeder Fahrt erzählen sich Autorin und Verleger mehr, lernen die jeweils andere Kultur, sich selbst und den anderen Stück für Stück besser kennen. Was kann noch werden, wenn man sich öffnet? Wenn man sich nicht mehr so verloren fühlt? Es sind wunderschöne, ruhige Bilder ohne viele Worte, mit denen Élise Girard diese Geschichte über das Älterwerden erzählt. Um Leidenschaft darzustellen, braucht es keine zerwühlten Bettlaken. Es reichen manchmal nur zwei Hände, die sich auf einer Taxirückbank peu à peu immer näherkommen, um sich am Ende zu berühren.
(Tina Adomako)
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