Mr. Turner - Meister des Lichts
Großbritannien 2014, Laufzeit: 149 Min., FSK 6
Regie: Mike Leigh
Darsteller: Timothy Spall, Paul Jesson, Dorothy Atkinson
>> www.turner-derfilm.de
Künstlerdrama
Die Wahrhaftigkeit des Augenblicks
„Mr. Turner – Meister des Lichts“ von Mike Leigh
Der englische Maler William Turner (1775-1851) erlangte Berühmtheit mit seinen Landschaftsbildern, bei denen er sich von der puren Gegenständlichkeit entfernte und versuchte, das Motiv zugleich erlebbar zu machen. Nicht bloß die realitätsgetreue Abbildung, sondern auch das Gefühl dahinter wollte er vermitteln. Seine Hinterlassenschaft ist ein beeindruckendes Werk, das den Betrachter bis heute staunen lässt über jenes einzigartige Spiel mit Farbe, Licht und Schatten. In den Museen Londons kann sich ein jeder seine Gemälde zu Gemüte führen – bei freiem Eintritt, was, auch davon erzählt der Film, ganz im Sinne Turners ist. Regisseur Mike Leigh widmet dem Maler ein Drama, das sich über die zweite Lebenshälfte des Künstlers erstreckt. Leigh zeichnet darin die künstlerische Seele, die Beziehungen und die gesellschaftlichen Verbändelungen Turners nach. Zugleich ist auch der Filmemacher ein Künstler, der mit Farbe, Licht und Schatten arbeitet, und Leigh überträgt gelungen die Bildsprache Turners auf die Filmleinwand. Sein Drama liefert wundervolle Aufnahmen von Landschaft, Meer und Menschen. Sein Mr. Turner verharrt in den Motiven oder stapft durch sie hindurch wie eine Spitzweg-Figur, ein Kauz mit Zylinder vor romantischer Idylle, umgeben von warmen Farben und gleißenden Lichtpunkten. Auch die Ausstattung der Innenräume und die Kostümierung der Protagonisten ist prachtvoll gelungen.
Leigh inszeniert traumhaft malerisch. Und die Geschichte? Zum einen wird Turners einzigartige Annäherung an die Lichtgestaltung nicht vollends enträtselt. Vor allem der Ansatz Turners, das Abbild emotional erlebbar zu machen, erschließt sich kaum, denn Leighs Turner ist vor allem ein Kauz mit emotionalen Defiziten. Ein kühler Rüpel, der seine Kinder bis in deren Tod verleugnet, der kurz und triebhaft seine langjährige Dienstmagd besteigt. Grandios verkörpert Timothy Spall („Harry Potter“, „The King’s Speech“) dieses eigenwillige Talent, auch mal bis an die Grenze zur Karikatur, aber immer glaubwürdig. Ein verschrobener, aber kluger Kopf, ein Schalk mit kreativer Gabe und Sachkenntnis. Auch die künstlerische Arbeit an der Leinwand imitiert Spall überzeugend und mit großer Spiellaune.
Von der wahren Größe des Malers erzählen indes seine Bilder und die eine oder andere filmische Anekdote, in der hinter dem vermeintlichen Gefühlskrüppel ein Mann von Hingabe und Leidenschaft durchscheint. Wenn Turner, anders als seine Kollegen, das Meer nicht nur vom Ufer aus betrachtet und sich stattdessen bei starkem Seegang direkt an den Schiffsmast binden lässt. Wenn er die kunstinteressierte Gäste durch einen verdunkelten Raum führt, bevor er sie den Lichtbildern in seiner Galerie aussetzt. Wenn er sich inspiriert mit Wissenschaftlern und Künstlern austauscht. Wenn er beobachtet, spuckt und wischt und malt. Man lernt ihn kennen, doch zugleich bleibt er rätselhaft, und seine Kunst bleibt es auch. Vielleicht will Leigh seinen Turner eher erlebbar machen, als ihn bloß authentisch abzubilden und zu erklären. Subjektiv. Ganz im Sinne von Turners Bildern.
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