So viele Jahre liebe ich dich
Frankreich, Deutschland 2008, Laufzeit: 115 Min., FSK 6
Regie: Philippe Claudel
Darsteller: Kristin Scott Thomas, Laurent Grévill, Elsa Zylberstein, Serge Hazanavicius
Nach 15 Jahren der Trennung besucht Juliette ihre jüngere Schwester Léa. Léas Mann gefällt gar nicht, dass sie längerfristig bei ihnen einziehen soll. Denn Juliettes jahrelange Abwesenheit birgt ein dunkles Geheimnis.
Philippe Claudel ist eigentlich Romanautor. Mit „So viele Jahre liebe ich Dich“ legt er sein Spielfilmdebüt vor. Künstler, die das Fach wechseln, gibt es einige. So arbeitet zum Beispiel der Maler Julian Schnabel („Schmetterling & Taucherglocke“) seit einiger Zeit erfolgreich als Regisseur. Aber selten gelingt der Medienwechsel so unaufgeregt, unprätentiös und zugleich selbstsicher wie bei Claudels Erstling.
Juliette sieht grau aus, als sie am Flughafen wartet. 15 Jahre war sie weg. Wo sie war, erfährt der Zuschauer ebenso wie Juliettes neue Umwelt nur allmählich. Allein ihre Schwester Léa weiß es, doch die genauen Hintergründe sind ihr anscheinend ebenso unklar. Als sie Juliette abholt und in ihrem Haus aufnimmt, versucht die warmherzige und lebenslustige Léa daher zunächst, das schreckliche Geheimnis, das Juliettes Vergangenheit birgt, zu überspielen. Zu dunkel scheint der Schatten, der über der Vergangenheit liegt, als dass Léa und ihr gut eingerichtetes Leben mit Haus und Familie dem gewachsen wären. Tatsächlich scheinen die beiden Schwestern von ganz unterschiedlichem Temperament zu sein: die eine kühl und unnahbar, die andere freundlich und verletzlich. Doch langsam nähern sie sich einander an. Juliette taut immer mehr auf in der neuen Umgebung von Léa und ihren Freunden und legt Stück für Stück ihre Schutzschicht ab. Und Léa traut sich zögerlich, nachzufragen, was war. Denn was sie meint über Juliettes Vergangenheit zu wissen, scheint bei weitem nicht die ganze Wahrheit zu sein. Die ist am Ende bitter, aber weniger bedrohlich, als die kleine Schwester zu Beginn fürchten muss. Und das Wissen um die Wahrheit öffnet eine Türe für eine gemeinsame Vergangenheitsbewältigung der beiden Schwestern.
Philippe Claudel findet schlichte Bilder für diese Annäherung. Weder dramatisiert er das Geschehen durch unnötige Rückblenden, noch greift er auf andere Stilmittel zurück, um Pathos zu erzeugen. Alleine die beiden Frauen und ihre verschlossenen und gleichermaßen vielsagenden Gesichter tragen den emotionalen Gehalt des Films. Kristin Scott Thomas („Bitter Moon“, „Der englische Patient“) als Juliette und Elsa Zylberstein („Farinelli“) als Léa spielen die Schwestern zurückhaltend und eindringlich zugleich. Auch wenn die Auflösung am Ende etwas bemüht anmutet, schafft es Claudel in seinem ruhigen Film dennoch, die Frauen und ihre emotionale Entwicklung – auch zueinander – intensiv zu vermitteln. Da auch die sympathischen Nebenrollen psychologisch plausibel entwickelt sind, fällt man als Zuschauer am Anfang des Films tatsächlich zusammen mit Juliette in diese neue Welt, die man am Ende kennen- und lieben gelernt hat.
(Christian Meyer)
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