Die Tatsache zu akzeptieren, dass Menschen sterblich sind, fällt der New Yorker Autorin Ingrid (Julianne Moore) nicht leicht: Der Tod jagt ihr Grauen ein. Damit ist sie eigentlich eine ungeeignete Kandidatin für den Gefallen, den bald eine alte Freundin von ihr erbitten wird: Martha (Tilda Swinton), eine ehemalige Kriegsberichterstatterin, ist an Krebs erkrankt; sie sieht keine Perspektive mehr für eine Heilung und will den schmerzhaften Sterbeprozess mit Hilfe einer im Darknet organisierten Pille abkürzen. Ingrid soll sie dabei unterstützen. Nicht, um aktive Sterbehilfe zu leisten, sondern schlicht um da zu sein, im „Zimmer nebenan“, wenn sie die Pille schluckt. Die Autorin lässt sich nach einigem Zögern auf die Herausforderung ein. Sie begleitet Martha in ein Ferienhaus irgendwo im Wald, das die Sterbende als Ort für ihr Ende ausgesucht hat; dort gehen die Freundinnen spazieren, reden über Leben und Tod, tauschen Erinnerungen aus, schauen sich alte Filme an. Bis die Kranke sich irgendwann entscheidet, für den letzten Schritt bereit zu sein. Einmal mehr erweist sich Pedro Almodóvar, der in diesem Jahr seinen 75. Geburtstag feiert und mit „The Room Next Door“ gerade den Goldenen Löwen beim Filmfestival in Venedig eingeheimst hat, als meisterlicher „Frauenregisseur“. Und das nicht nur, weil sich sein Film ganz darauf konzentriert, dem fulminanten Duo Swinton und Moore eine große Bühne zu bereiten, sondern vor allem, weil er daraus mehr noch als ein Sterbehilfedrama eine Hommage an weibliche Souveränität und weibliche Solidarität macht. Dabei hält sich Almodóvar mit dem Schrill-Melodramatischen auffällig zurück: Nur in Rückblenden, die um die Beziehung der Kranken zu ihrer entfremdeten Tochter und deren Vater kreisen, trägt die Regie emotional kurz so dick auf, wie man das aus anderen Almodóvar-Filmen kennt; wo es aber um den Sterbeprozess geht, bleibt der Ton auffällig gelassen. Was Pedro Almodóvar und seinen Hauptdarstellerinnen mit viel Grandezza gelingt, ist, den Mut zu feiern, an dem Wissen um unsere Endlichkeit und Verletzlichkeit durch Krankheiten, Kriege und Co. nicht zu verzweifeln, sondern Leben als Gestaltungsspielraum zu begreifen, den es zu nutzen gilt – bis zuletzt. In seiner durchkomponierten Schönheit erklärt der Film Leben und Sterben selbst zur Kunst.
In Claire Burgers „Tandem – In welcher Sprache träumst du?“, der seine Weltpremiere im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale feierte, geht um ein Austauschprogramm am Gymnasium, mit dem die beiden betroffenen Personen zunächst beide nicht sonderlich glücklich sind. Fanny (Lilith Grasmug) ist nach Leipzig gekommen, um dort von ihrer deutschen Austauschschülerin Lena (Josefa Heinsius) in die deutsche Lebensart eingeführt zu werden. Es ist allerdings Lenas Mutter Susanne (Nina Hoss), die Fanny vom Bahnhof abholt – denn Lena ist gerade wieder damit beschäftigt, auf die eine oder andere Weise die Menschheit zu retten. Susanne ist noch immer nicht über die Trennung von ihrem letzten Partner hinweggekommen, und auch Fanny ist nicht wirklich begeistert, in Leipzig zu sein, zumal sie sich geflissentlich weigert, Deutsch zu sprechen. Als Lena allerdings davon erfährt, dass Fanny eine von ihrer Familie verleugnete Halbschwester hat, die sich in Frankreich in einer radikalen antifaschistischen Gruppe engagiert, werden die beiden jungen Frauen doch noch Freundinnen – und entdecken auch ihre sexuelle Begierde füreinander. Claire Burgers Film präsentiert eine Coming-of-Age-Geschichte unserer Tage, die auch vom mitreißenden Spiel der beiden noch weitgehend unbekannten jugendlichen Protagonistinnen lebt.
Vera und André sind nicht nur privat ein Paar, sondern auch geschäftlich. Die beiden haben eine App am Start, die sich spezifisch für Frauengesundheit einsetzt. Damit gehen sie in einen Workshop, an dessen Ende sie und andere Jungunternehmer:innen ihre Start-ups vor Investoren pitchen. Vera will vorher noch mit dem Rauchen aufhören und lässt sich hypnotisieren. Doch das löst bei ihr einen radikalen Egotrip aus. Vera verstellt sich nicht mehr, sondern macht nur noch, was ihr gerade in den Sinn kommt und mischt die geregelte Geschäftswelt ordentlich auf. Vera dreht frei und der Pitch droht zum Desaster zu werden, während André versucht, zu retten, was zu retten ist. Die skandinavische Satire „Hypnose“ lotet auf brutalem Fremdschamkurs die Fragen nach Anpassung und Authentizität in der Gesellschaft aus.
Außerdem neu in den Ruhr-Kinos: Marcus O. Rosenmüllers Künstlerdrama „Münter & Kandinsky“, Mati Diops mit dem Goldenen Bären prämierte Doku „Dahomey“, Beatrice Mingers und Christoph Schaubs Doku „E.1027 – Eileen Gray und das Haus am Meer“, Kida Khodr Ramadans Adoptionsdrama „Haltlos“ (Filmpalette), Chris Nashs Slasher „In A Violent Nature“, Kelly Marcels Comic-Abenteuer „Venom: The Last Dance“ und Damian John Harpers Buchadaption „Woodwalkers“.
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