Vor 31 Jahren ratterte der Fluxus-Zug von Wolf Vostell durchs Ruhrgebiet. Machte mit dem Meister Station an unbedeutenden Orten des Reviers und brachte den Menschen die Kunst ins Haus, viele hielten den Pionier des Fluxus und Happening damals für einen Spinner mit Havanna-Zigarre. Seit 1989 steht auf dem Mittelstreifen des Hohenzollernrings in der Ford-Stadt-Köln seine Auto-Beton-SkulpturRuhender Verkehrvon 1969. Vostell vergoss aber interessanterweise einen Opel Kapitän. Das Museum Ostwall zeigt nun mit der Ausstellung „Fluxus – Kunst für Alle“ seinen Bestand an Werken, Objekten und Dokumenten aus der Zeit der Fluxus-Bewegung der 1960er und 1970er Jahre. trailer sprach mit dem Museumschef und Kurator der Ausstellung Kurt Wettengl.
trailer: Herr Wettengl, warum darf man in einem Museum umgraben?
Kurt Wettengl: Sie spielen auf die Kunstinstallation „Umgraben“ von Wolf Vostell in unserer Fluxus-Ausstellung an. Der erdachte diese wichtige Aktion, in der die Besucher mit Spaten in einem ursprünglich realen und nun im Museum nachgebauten Torfbeet graben und dabei elektronische Klänge erzeugen. Vostell war einer der wichtigen Fluxus-Künstler in Deutschland.Der aus Litauen stammende US-amerikanische Grafiker und Künstler George Maciunas organisierte ab 1962 Fluxus-Ereignisse und erfand die Bezeichnung Fluxus. Darunter verstand er insbesondere den Akt des Fließens.Wir erinnern mit der Ausstellung an die Anfänge vor 50 Jahren in Wiesbaden, Düsseldorf und Wuppertal, an die Fluxus-Bewegung der 1960er und 1970er Jahre und deren heutige Aktualität.
Bestreiten Sie die Ausstellung ausschließlich aus eigenen Beständen?
Wir zeigen Bestände des Museums Ostwall, die sich aus zwei Quellen speisen. Die wichtigste ist die von 1968 bis heute bestehende Verbundenheit mit dem Remscheider Sammler WolfgangFeelisch. Wir haben mit Mitteln der Freunde des Museums und der Stadt Dortmund im vergangenen Jahr – wie früher schon einmal – bedeutende Kunstwerke, Dokumente, Fotografien und Relikte der Fluxus-Kunstaktionen aus seiner Sammlung erwerben können. Hinzu kommen wichtige Dauerleihgaben Feelischs, die er heute wie früher dem Museum Ostwall überließ. Der Sammler vermachte uns immer wieder – so auch kürzlich – bedeutende Werke als Schenkungen. Dazu kommen die Dauerleihgaben aus dem Nachlass des 2009 verstorbenen Sammlers Hermann Braun. Er fing 1972 an, Fluxus-Kunst zu sammeln. Durch die Dauerleihgaben, die wir dankenswerterweise von Holger Lieff, seinem Stiefsohn,erhielten,sind nun auch viele US-amerikanische Künstler des Fluxus bei uns vertreten. Wolfgang Feelisch war nicht nur Sammler. Er hatte in den 1960er Jahren in Remscheid begonnen, in seinem VICE-Versand kleine Fluxus-Objekte als Multiples herauszugeben und damit Kunst auch für wenig Geld erwerbbar gemacht. 1972 wurde Hermann Braun, der ebenfalls in Remscheid lebte, in der Innenstadt durch eine Schauvitrine mit Multiples aus dem VICE-Versand auf die Künstlerinnen und Künstler des Fluxus aufmerksam. Insofern gibt es zwischen beiden Sammlern eine Verbindung. Neben Dauerleihgaben von Feelisch und Braun/Lieff haben wir nur eine weitere Leihgabe: Fluxus-Filme aus dem Centre Pompidou in Paris.
Ist die Ausstellung auch eine historische Rückschau auf linke Kunst der 1970er Jahre?
Die Ausstellung stellt die verschiedenen Facetten von Fluxus vor. Es war eine Bewegung, die Kunst und Alltag miteinander verbinden wollte. Die Kunst von Fluxus zeichnet sich dadurch aus, dass sie verschiedene Materialien und Medien verbindet und auch unterschiedlichste Strategien hat: Dazu gehört das Subversive, das Ironische, das Humoristische, das vom Zen-Buddhismus Beeinflusste, das Spielerische, das Modellhafte, das Musikalische, aber eben auch das Gesellschaftskritische. Insofern kann man Ihre Frage nicht mit dieser Ausschließlichkeit beantworten. Wenn Sie aber mit links eine gesellschaftskritische Haltung meinen, dann gilt das sehr wohl auch für diese Ausstellung. Denken wir beispielsweise an Wolf Vostell und Joseph Beuys oder MilanKnížák, der in der damaligen Tschechoslowakei gearbeitet hat und für seine Aktionen im Gefängnis war.
Die Objekte waren eigentlich funktionslose Ware und die Kunst des Fluxus wollte nie bürgerlicher Fetisch sein. Wie verträgt sich das mit einer Museumsausstellung?
Die Ausstellung zeigt insgesamt etwa 300 Exponate, darunter durchaus vieleKunstwerke, die von den Künstlerinnen und Künstlern als solche hergestellt wurden.Aber, das ist richtig, Fluxus lebte – wie die Kunst und die Aktionen der hierfür wichtigen Dadaisten der 1920er Jahre – sehr von der Aktion der Künstler und der Handlung auch des Publikums. Aber das reizt uns gerade an dieser Ausstellung, das reizt uns auch an Fluxus in unserer Sammlungspräsentation, die wir bei der Konzeption des „Museums als Kraftwerk“ im Museum am neuen Standort ja seit Herbst 2010 ins Zentrum gestellt haben. Natürlich wollen wir auch den Aktions- und Happeningcharakter von Fluxus zeigen. Und wir versuchen, die Besucher immer wieder durch Handlungsanweisungen beispielsweise von George Brecht zu Teilnehmern an der Kunst in der Ausstellung zu machen. Den performativen Charakter unterstreichen wir noch, indem wir die Besucher sich die geschichtliche Dimension von Fluxus durch Handlung selbst aneignen lassen. Wir werden Fotografien, Texte oder auch Flugblätter auf Folien reproduzieren, das Publikum kann diese dann selbst mittels Overheadprojektoren – also einem für die 1960er und 1970er Jahre typischen Medium – an die Wand projizieren, und sich das Thema assoziativ oder durch seine besonderen Interessen geleitet erschließen.
Fluxus ist tot – wie aktuell ist Fluxus in der Kunst heute?
Fluxus ist sehr aktuell in der Kunst. Es ist ja schon problematisch, von „der“ Fluxusbewegungzu sprechen, denn es war ja ein mal engeres, mal loseres Netzwerk von Künstlerinnen und Künstlern, die insbesondere in den USA, West- und Osteuropa künstlerisch gemeinsam oder einzeln agierten. Sie hatten sich nach einer gemeinsamen Phase der Fluxuskonzerte seit 1962 und Ausstellungen in der ersten Hälfte der 1960er Jahre wieder über die Welt verteilt, blieben aber über Mailings und durch Fluxuseditionen miteinander verbunden. Wichtig für diese inzwischen historische Phase des Fluxus war die Idee der Verbindung von Alltag und Kunst, das Intermediale sowie die Offenheit des Kunstwerks, der Prozess, das Modellhafte, das Performative unter Beteiligung des Publikums. Das alles sind Momente, die heute von Künstlern, die auch in gesellschaftlichen Zusammenhängen denken, immer wieder als wichtig erachtet werden. Insofern hat Fluxus eben nicht nur die historische Dimension, sondern auch eine ganz aktuelle, und das macht es so spannend.
Ist Beuys immer noch das Highlight?
Für bestimmte Künstler schaffen wir in der Ausstellung „Fluxus – Kunst für Alle!“ eigene Räume: für George Brecht,Robert Filliou, Milan Knížák,Dick Higgins, Allan Kaprow, Alison Knowles und Wolf Vostell. Die Arbeiten von Joseph Beuys sind – wie manch andere Arbeiten des Fluxus – parallel dazu weiterhin in den Räumen des Museums zu sehen, so dass die Sammlungspräsentation des Museum Ostwall auf den Ebenen 4 und 5 im Dortmunder U und unsere Sonderausstellung auf der Ebene 6 verbunden sind. Beuys ist dabei ein zentraler Punkt.
Und die Verbindung von Fluxus und Ruhrgebiet ist ja auch nicht ungewöhnlich?
Überhaupt nicht. Man denke gerade daran, wie wichtig die Galerie von Inge Becker in Bochum gewesen ist, die ja mit Allan Kaprow und Wolf Vostell in den 1970er Jahren eng zusammengearbeitet hat. Auch Remscheid mit seinem VICE-Versand war nicht weit vom Ruhrgebiet entfernt. Ein weiteres wichtiges Zentrum war 1962 für die Fluxuskonzerte Düsseldorf und in den Folgejahren auch die Galerie Parnass in Wuppertal.
„Fluxus – Kunst für Alle!“ I 25. August bis 6. Januar 2013 I Ostwall Museum, Dortmund I 0231 502 32 47
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Weibliche und globale Perspektiven einbeziehen“
Direktorin Regina Selter über „Tell these people who I am“ im Dortmunder Museum Ostwall – Sammlung 10/24
„Crème de la Crème der Popkunst“
Regina Selter und Rudolf Frieling sprechen über Nam June Paik – Sammlung 04/23
Durch die Blume
„Flowers!“ in der Kunst ab 1900 im Dortmunder U – Ruhrkunst 06/22
In der Verlängerung beginnen
Museen zwischen öffnen und schließen – Kunst in NRW 02/21
Der Mensch in Kapiteln
„Body & Soul“ im Museum Ostwall – Ruhrkunst 08/20
Mit allen Sinnen
Idan Hayosh im Dortmunder U – Ruhrkunst 02/20
Die Moderne aus der Nähe
Niederländische Malerei aus der Sammlung Singer Laren in Dortmund – kunst & gut 07/19
Schnake an der Wand
Preisträgerin des MO Kunstpreises Lili Fischer stellt im Museum Ostwall in Dortmund aus – kunst & gut 02/19
Kein letzter Schuss aufs Kunstwerk
Niki de Saint Phalle im Museum Ostwall – Kunstwandel 02/17
„Fragen an das gesellschaftliche Rollensystem“
Niki de Saint Phalles Frauenbilder im Museum Ostwall – Sammlung 12/16
Wenn Plockwurst aushärtet
Dieter Roths „Schöne Scheiße“ im Dortmunder U – Ruhrkunst 06/16
Lebst Du noch und wie wohnst Du eigentlich?
Kunstvorschau: Verwesung, Entfremdung und ein Tag für Entdeckungen
„Mangas sind bei der jungen Leserschaft die Zukunft“
Leiter Alain Bieber über „Superheroes“ im NRW-Forum Düsseldorf – Sammlung 11/24
„Jeder Besuch ist maßgeschneidert“
Britta Peters von Urbane Künste Ruhr über die Grand Snail Tour durch das Ruhrgebiet – Sammlung 09/24
„Auch die Sammler beeinflussen den Künstler“
Kurator Markus Heinzelmann über die Ausstellung zu Gerhard Richter in Düsseldorf – Sammlung 08/24
„Die jüdische Renaissance ist nicht so bekannt“
Museumsleiterin Kathrin Pieren über „Shtetl – Arayn un Aroys“ im Jüdischen Museum in Dorsten – Sammlung 08/24
„Auf Fautrier muss man sich einlassen“
Direktor Rouven Lotz über „Jean Fautrier – Genie und Rebell“ im Emil Schumacher Museum Hagen – Sammlung 07/24
„Eine von Verflechtungen und Austausch geprägte Welt“
Kuratorin Julia Lerch Zajaczkowska über Theresa Webers „Chaosmos“ im Kunstmuseum Bochum – Sammlung 06/24
„Keine klassischen Porträtfotografien“
Kuratorin Kerrin Postert über „UK Women“ in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen – Sammlung 06/24
„Sowohl Bio als auch Fastfood“
Nico Anklam über Søren Aagaards Ausstellung bei den Ruhrfestspielen 2024 – Sammlung 05/24
„Die Realitäten haben sich verändert“
Die Kuratorinnen Özlem Arslan und Eva Busch über die Ausstellung zur Kemnade International in Bochum – Sammlung 04/24
„Das kann einem einen kalten Schauer bringen“
Direktor Tayfun Belgin über die Gottfried Helnwein-Ausstellung im Osthaus Museum Hagen – Sammlung 04/24
„KI erlaubt uns einen Einblick in ein kollektives Unbewusstes“
Kuratorin Inke Arns über Niklas Goldbachs „The Paradise Machine“ im Dortmunder HMKV – Sammlung 03/24
„Wir sind stolz darauf, diese Werke im Bestand zu haben“
Kuratorin Nadine Engel über die Ausstellung zu Willi Baumeister im Essener Museum Folkwang – Sammlung 02/24