Wer ist die Frau, wer bin ich? Diese Fragen beschäftigten Niki de Saint Phalle (1930-2002) ihr gesamtes künstlerisches Schaffen hindurch. Eine Antwort hat sie natürlich nie gefunden, aber bei ihr bleibe der Weg das Ziel, Zitat: „Ich bin eine Kämpferin.“ Sie kämpfte in erster Linie für die Frauen, und dieser Kampf ist bis heute nicht beendet. Unter dem Zitat zeigt das Museum Ostwall im Dortmunder U jetzt eine Retrospektive mit gut 110 Werken der franko-amerikanischen Künstlerin, darunter neben den bekannten Skulpturen und Schieß-Bildern auch Zeichnungen und eine gemeinsame motorisierte Arbeit mit Lebenspartner Jean Tinguely. Dazu die Retropflichtgeschichten wie Fotodoku- und Filmmaterial. Das Kooperationsprojekt mit dem Sprengel in Hannover und der Niki Charitable Art Foundation ist sicher eines der Kunst-Highlights im jungen Jahr 2017.
Der politische Faktor ihrer Arbeit muss immer den Mittelpunkt bilden. Da kann man über die künstlerischen Anfänge getrost hinwegsehen, die ersten großformatigen Dickschicht-Schinken (siehe „La fete“, 1953, oder selbst „Autoportrait“, 1958/59, mit Kiesel und Kaffeebohnen) oder die verspielten Zeichnungen der späten 1950er – alles Brücken auf dem Weg in die künstlerische Avantgarde der Frauenbewegung. Niki de Saint Phalle schießt nun auf Bilder. Weil sie denkt, dass sie das auf Männer nicht darf. Sie schießt sich in die Gazetten genauso wie in die Kunstzeitschriften und sie schießt sich in die Herzen einer ganzen Frauengeneration. Das alles hatte nicht nur politischen Symbolcharakter, die Künstlerin verarbeitet damit auch Kindheit und Jugend. Geboren wurde sie 1930 als Catherine Marie-Agnès Fal de Saint Phalle im schicken Pariser Vorort Neuilly-sur-Seine. Peripherer Adel, pädophiler Vater, provinzielle Klosterschule. Da kommt einiges zusammen, die Flucht in die Mutterrolle misslingt, die Flucht in den Zusammenbruch auch. Ein Jahrhundert zuvor wäre sie mit dem familiären Background in einer Nervenheilanstalt gelandet – sie wird aus Notwehr Künstlerin.
Ihre „tirs“ (Schießbilder) machen sie berühmt. Ihre Nanas machen sie unsterblich. Die Geburt dieser voluminösen Göttinnen der Fruchtbarkeit (beispielsweise: Lily oder Tony, 1965) lässt die Dominanz des Patriarchats erschauern, optisch scheinen sie ein gigantischer Reflex auf die klitzekleine „Venus von Willendorf“ (immerhin fast 30.000 Jahre alt) zu sein, und doch sind sie in der startenden plakativen Pop Art der frühen 1960 verankert und wohl mit die ersten inPolyesterharz gegossenen Kunstwerke.
Immer weiter verästeln sich im obersten Stock des Dortmunder U die Stellwände, mischt sich bald Frauenpower mit Black Power, die Frauenbewegung hat sich etabliert und auch etwas bewegt. „Nana Power“, die erste Ausstellung mit denKämpferinnen, sollte eine fröhliche, befreite Frauenschaft zeigen, doch die Verhältnisse waren nicht so, waren es bis heute nie. Der letzte Baustein der Ausstellung trägt die Frage: Was bleibt? Ihr Tarotgarten in der Toskana? Sicher. Er ist ein bunter Tourismus-Magnet. Ihre Nanas? Natürlich. Sie sind visuelle Highlights in jeder Kommune (siehe Duisburg). Ihre Vision? Da bin ich mir nicht sicher. Vielleicht wird es wieder notwendig, auf was zu schießen. Künstlerisch natürlich. Natürlich.
„Ich bin eine Kämpferin“ | bis 23.4. | Museum Ostwall im Dortmunder U | 0231 502 47 23
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