Über Aufmerksamkeit kann sich Charlotte Roche nicht beklagen. Ihr zweiter Roman „Schoßgebete“ wird flächendeckend in den Feuilletons besprochen. Allerdings taucht gebetsmühlenartig die Frage auf, ob Charlotte Roche nun Literatur schreibe oder nicht. Fast immer wird sie verneint. Eine Frau, die im Fernsehen zu den Enfants terribles zählt, die so schamlos über Sexualität schreibt und dabei so erfolgreich ist (weit über 1 Million verkaufte „Feuchtgebiete“), der kann man offenbar nicht noch die Bezeichnung Schriftstellerin zubilligen. Mit dem zweiten Buch zeigt sich ja auch oftmals, dass der Erfolg des ersten nur ein Zufallstreffer war.
Ihrer eigenen Aussage zufolge sollen sich die Käufer der „Feuchtgebiete“ zu 90 Prozent aus Studentinnen und zu 10 Prozent aus alten Männern zusammensetzen. Nun will sie also die andere Hälfte der Menschheit für sich gewinnen, indem sie ein Buch über eines „unserer letzten Tabus: den ehelichen Sex“ schreibt. Jedenfalls beantwortet sie die meistgestellte Frage der Autorenlesungen „Ist Ihr Buch autobiographisch oder haben Sie alles erfunden?“ gleich mit der Eröffnungssequenz. Die 33-jährige Erzählerin mit Namen Elisabeth breitet mit hingebungsvoller Akribie eine Fellatio aus, wie sie in dieser Detailversessenheit garantiert noch niemand gelesen hat. Kein Zweifel, Charlotte Roche weiß, worüber sie schreibt, niemand denkt sich solche Sex-Szenen aus. Mit Erotik haben diese Passagen, in denen es die Erzählerin ihrem Ehemann mit allen Tricks und Kniffen besorgt, allerdings nichts zu tun. Im Gegenteil, wie eine Hausfrau, die ihre Küche bis in den letzten Winkel mit einem Wattestäbchen säubert, wird hier obsessiv die Begegnung mit dem männlichen Geschlecht beschrieben.
Warum gibt sich Elisabeth solche Mühe? Weil sie eine „gute Ehefrau“ sein will. Dass Charlotte Roche schreiben kann, zeigt sich nicht an der Fleißarbeit dieser Eröffnungs-Szene. Erst mit der folgenden Episode erhält der Text seinen Bedeutungsrahmen. Denn nachdem die Erzählerin aus dem Bett gestiegen ist, bereitet sie in der Küche das Essen für ihre Tochter zu, die bald aus der Schule kommt. Nun beschreibt sie genauso präzise den Umgang mit dem Wirsing, wie sie zuvor den Umgang mit dem Schwanz des Gatten beschrieben hat. Warum? Weil sie eine „gute Mutter“ sein will. Um das zu sein, muss Elisabeth das Kind hinters Licht führen, damit es „gesund“ isst. So wie sie das Kind manipuliert, um ihre Rolle als Mutter zu erfüllen, hat sie zuvor den Mann manipuliert, um sich selbst zu bestätigen. In einem Ton fröhlicher Verschlagenheit entwirft Roche eine Figur, die scheinbar harmlos alles um sich herum manipuliert, damit es den schönen – aber gnadenlosen – Erfolgsbildern der Illustrierten entspricht.
Sicherlich provoziert die Roche, wenn sie Sexualität in unbarmherziger Konsequenz auf Körperlichkeit reduziert und selbst für die Dinge Worte findet, die wir lieber nicht besprochen haben möchten. Genau das ist aber die Aufgabe der Literatur, uns in diese Grenzbereiche zu führen und sie sprachlich auszumessen. Übrigens ist es nicht einfach, Körperliches im Wort darzustellen. Ohne Zweifel ist das Buch jedoch kein Meisterwerk, es besitzt erhebliche Schwächen. Der Versuch, Szenen komplett auszuerzählen, wirkt mitunter bemüht und ermüdet die Leser. Unglaubwürdig bleibt auch der Versuch, die Heldin über ihre verkorkste Kindheit zu erklären. Man darf in diesem Buch durchaus Passagen überspringen. Dennoch bleibt sein Schwung – die Dringlichkeit seines Anliegens – an jeder Stelle spürbar. Auch wenn es vordergründig stets um die Obszönität der Materie geht, wenn der Analverkehr als literarisches Sujet etabliert wird, so verbirgt sich hinter dem Bekenntnis zum Körper stets ein zweiter Impuls. Das mag hier die Intimität sein, dort ist es die Liebe, oder das, was für sie ausgegeben wird, dann ist es die Verzweiflung oder die taktische Berechnung. In jedem Fall beschäftigt einen dieser Roman noch lange nach seiner Lektüre. Er spürt auch die tieferen Regionen des Gefühls auf, die ebenfalls nicht immer stubenrein sind. Aber zweifellos ist es ein Abenteuer, ihnen zu begegnen, eines, das Charlotte Roche mutig angeht.
Charlotte Roche liest aus „Schoßgebete“ im Rahmen von lit.COLOGNE Spezial | Sa. 15.10., 21 Uhr | Theater am Tanzbrunnen, Rheinparkweg 1, Köln | www.litcologne.de
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