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Manchmal verbirgt sich das Böse hinter Türen: Hat Mutter Mechthild etwa den abgetrennten Finger entdeckt?
Foto: Jakob Studnar

Hinter jeder Tür ist es erst einmal dunkel

01. Juni 2013

kainkollektiv mit Klaus Händls „Dunkel lockende Welt“ im ehemaligen Moerser Rathaus – Theater Ruhr 06/13

Es gibt keine Welt, die wirklich lockt, wenn das Licht dort nicht leuchtet. Theater funktioniert auch schlecht im Dunkeln. Manche Stücke funktionieren aber aus sich selbst heraus, und es gibt auch Texte, die eigentlich gar nichts brauchen. Der Tiroler (österreichische Seite) Händl Klaus schreibt solche Stücke, die manchmal nur einen abgeschnittenen Finger brauchen oder eine Schatzkarte. In „Dunkel lockende Welt“, das der ehemalige Moerser Dramaturg Fabian Lettow mit seinem kainkollektiv im ausgemusterten Moerser Rathaus inszeniert, mutiert der Boulevard-Stoff zu einem ausgeklügelten Kunstsystem, wo viel theoretische Höhe vorgegaukelt wird, der Dramatiker Händl ein wenig auf der Strecke bleibt, der Strecke voller erlegter Menschen, die den Strudel der Ereignisse nur mit elementaren Schäden überstehen.

Frei stehende Türen schaffen Räume, wo keine sind, wuchern über die Bühne, erzeugen schöne Bilder – und manchmal auch das Maß an Verwirrung, die wohl allen großartigen Händl-Stücken eigen sind. Lettow zitiert videotechnisch dabei auch Castorf- und Pollesch-Systeme. Einen Volker Spengler in Großaufnahme macht in Moers locker Matthias Heße als Joachim Hufschmied vergessen, der auf ähnlich subtile Art den ehemaligen Vermieter spielt, der sich in seine letzte Mieterin verliebt und als privater Kommissar die Handlung um den abgeschnittenen Finger durch den Abend fegt. Er geht für die Suche nach der imaginären Leiche auch in seinem Haus an die körperlichen Grenzen und die der Statik. Alle bewegen sich kunstvoll choreografisch durch eine tote Welt, abgestorben sind alle Pflanzen, die zwar pathologisch mit Wasser besprüht werden, die Zwangshandlungen könnten aber ebenso auch das Federrupfen bei Wellensittichen sein. Denn genau das passiert mit den handelnden Personen. Untermalt mit Livemusik von Johann Sebastian Bach bis John Cage gehen sie auf die Suche nach der Zahnärztin Corinna Schneider (Katja Stockhausen), die aus der Wohnung von Hufschmied auszog, sie klinisch säuberte, aber den blöden Zeh vergaß. Da Dentisten keine Chirurgen sind, quält der Verdacht einer üblen Straftat durchs Stück. Der Tatbestand wird nie geklärt, doch irgendwie taucht Corinnas Schweizer Lebensgefährte Marcel auch nicht mehr auf, auch nicht in Peru, wohin es die beiden von Leipzig aus verschlug, und das auch das Ziel der nachreisenden Zahnärztin sein sollte.

Keywords werden in der Inszenierung musikalisch oder als Handlungsanweisung betont, ausgelaugte dröge Bonsais als Kulisse gezoomt, es bleibt der performative Charakter, der die Augen verwöhnt, das neurale Netzwerk unterfordert, weil die Verrichtung wichtiger scheint als die Handlung. Und warum dazu der Laptop der Bühnentechnik ausgerechnet für Apple Werbung leuchten muss, ist nicht ersichtlich. Die Lobeshymne auf das Licht als solches findet im ehemaligen Ratssaal statt. Es lässt die Pflanzen wachsen, den Sauerstoff produzieren, es dringt auch in alle Ritzen des Beziehungsgeflechts, zwischen Mutter Mechthild Schneider (Marieke Kregel), die bis zu ihrem Einsatz geheimnisvoll durch die Szenerie geisterte, und ihrer Tochter Corinna. Aber am Ende auch zwischen Joachim Hufschmied und der Mutter, die das übersehene Stück Fleisch zurückbringen will, selbst als ihre Tochter bereits den Freitod gewählt hat. Alle Türen liegen da bereits als Bodendecker auf der Bühne, ihrer eigentlichen Funktion beraubt, aber als dramaturgisches Material noch brauchbar.

Lettow zeigt eine sehr gute Regiearbeit, was auch mit den zauberhaften Schauspielern des Moerser Theaters zu tun hat, die bekanntlich harte Arbeit auf der Bühne gewohnt sind und mit absonderlichen Texten vertraut. Kregel und Stockhausen donnern genial und oft synchron durch eine Monsterflut an biologischen Fachbegriffen, die ein kaum verstehbares Loblied auf die Photosynthese singen, die alles so schön grün macht. Dieser Monolog zu zweit muss dazu noch mit skurrilen Handlungen auf schwankenden Türen untermalt werden und führt fast zwangsläufig zu Szenenapplaus. Ein schauspielerisches Highlight im artifiziellen Abend, den ein schwitzender Matthias Hesse völlig überkleidet in der Antarktis beendet. Auch da war wohl keine Leiche zu finden.

„Dunkel lockende Welt“ I So 2.6.18 Uhr I Altes Rathaus Moers I 02841 883 41 10

PETER ORTMANN

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