Wer im Fotostudio steht, sollte sich nicht fragen, wer er ist, sondern wie er erscheinen möchte. In Stéphane Laimés Bühnenbild im Kleinen Haus in Düsseldorf zieht sich eine weiße Fotofolie über Hintergrund und Boden eines kleinen Spielpodests. Erhellt von ein paar typischen Studioleuchten. Hier präsentiert die 55-jährige Linda eine Antiaging-Creme für die Frau im Best Ager-Alter. Sie schwärmt vom „Confidence Building“, gibt auch in der Familie die Managerin und passt noch ins selbe Kleid wie vor 15 Jahren – Klassenziel erreicht, meint Linda, die gegen das Verschwinden der Frauen ab 35 aus dem öffentlichen Diskurs kämpft.
Penelopé Skinners Stück „Linda“ führt nun den Zusammenbruch dieser heroischen Kämpferin vor. Doch schon die ersten Szenen zeigen diese Linda als eine Donna Quichotta des Feminismus, die ernsthaft glaubt, in die Kosmetikindustrie eine Bresche für Wahrhaftigkeit geschlagen zu haben. Zudem ähnelt ihr Marketing-Sprech auf verblüffende Weise ihrem floskelhaften Familiensprech. Klischeeproduktion hier wie dort. Claudia Hübbecker macht das Beste draus und überzuckert die Figur mit Selbstempowerment-Pushs, gibt ihr sarkastisches Futter an die Hand oder schubst sie in die Penetranz – immer auf dem Grat zwischen Komik und Ernst. Linda kämpft nicht nur mit ihrem Mann Neil (Thiemo Schwarz), der sich mit 45 als Rockstar einer Band wähnt. Ihre jüngste Tochter Bridget (Caroline Adam Bay) ist ein altkluge 15-Jährige, die aus feministischen Gründen King Lear in der Schule spielen möchte; die 25-jährige Alice (Lea Ruckpaul) dagegen vegetiert (allzu) kindlich-trotzig im Stinktierkostüm dahin, weil Klassenkameraden sie vor Jahren mit Sexfotos gemobbt haben.
Linda erlebt nun ihre finalen Nackenschläge: Ihr wird eine jüngere Kollegin vorgesetzt, eine Werbekampagne abgesägt, ihr Mann hat eine Affäre mit einer Sängerin und sie selbst wird beim One-Day-Stand mit einem Praktikanten fotografiert und bloßgestellt. Vieles an diesem Stück wirkt überdeterminiert wie die Lear-Metapher oder die Mobbing-Parallele zwischen Mutter und Tochter. Regisseur Marius von Mayenburg sucht den shakespeareschen Mittelweg zwischen Komödie und Tragödie, Lehrstück und well-made play – doch so recht will das nicht gelingen. Nach drei Stunden sämiger Unterhaltung ist der Untergang perfekt.
„Linda“ | R: Marius von Mayenburg | 3., 29.1. je 20 Uhr, 24.1. 19 Uhr | Schauspielhaus Düsseldorf | 0211 36 99 11
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