Haiko Pfost über das Impulse Theaterfestival – Premiere 05/18
Das Impulse Theaterfestival, die Plattform für Freie Theater im deutschsprachigen Raum, wird im Juni erstmals von Haiko Pfost kuratiert. Experimentiert wird im Ringlokschuppen Ruhr, im FFT Düsseldorf und in der Kölner Studiobühne.
trailer: Herr Pfost, ich zitiere Sie mal: „Das Besondere des Freien Theaters ist, dass es seine ästhetischen Formen und auch seine Produktionsweisen immer neu bestimmt.“ Ist das an einem städtischen Theater nicht so? Haiko Pfost: Nein, das ist nicht so, weil es an diesen Theatern ganz feste Strukturen gibt, in denen gearbeitet wird. Kunst wird dort in das Theater eingespeist und nicht umgekehrt. Ein klassischer Intendant sucht sich einen Regisseur aus, der dann in einer bestimmten Zeit eine bestimmte Arbeit für ihn erfüllt. In der Freien Szene steht am Anfang einer Arbeit der Rechercheprozess und – und das ist etwas sehr Entscheidendes – man begibt sich damit auf ein sehr unsicheres Terrain. Wie Bühnenbild oder Kostüme aussehen werden, oder ob es überhaupt welche gibt oder ganz andere Medien benutzt werden, wird sehr viel später entschieden. Das hat mit der Geschichte der Freien Darstellenden Künste zu tun, dass wir hier in ein viel weiteres Feld stoßen, als das im Stadttheater normalerweise üblich ist.
Welche der diesjährigen Produktionen des Impulse Festivals hätte denn niemals an einem Stadttheater realisiert werden können? Es gibt Arbeiten wie „Global Belly“ oder „Pink Money“, die mit langen Rechercheprozessen begonnen haben. Genauso bei „Dorf Theater“, da begann die Recherche vor zwei Jahren. Das sind Zeitdimensionen, die im Stadttheater gar nicht möglich sind. Weil es anders ergebnisorientiert ist. Es wird in der Freien Szene auch viel internationaler gearbeitet – „Pink Money“ ist in Johannesburg entstanden, weil es sich eben mit Queer-Sein in Südafrika beschäftigt. Sicher könnte man vieles auch am Stadttheater als Gastspiel zeigen, aber ich glaube nicht, dass etwas dort so produziert werden könnte.
Wie sehr ist der traditionelle Theaterbegriff durch die Erweiterung um andere Kunstform wie Tanz, Video- und Medienkunst, Musik inzwischen verändert worden? Deshalb sprechen wir im Freien Theater lieber von Darstellenden Künsten, weil es so schwierig ist, die Genres zu trennen und sie auch zu benennen. Das Entscheidende ist aber immer noch, dass Leute zusammen eine Erfahrung in einem Raum machen, und das ist für mich auch die elementare Erfahrung – und die Qualität der tatsächlichen Aufführung als Performance und als Aktualisierung des Moments im Hier und Jetzt. Das kann ich in anderen Medien so nicht haben. Die Produktion „The Guardians of Sleep“ zeigt das sehr eindrücklich.
„Consumption As A Cause Of Coming Into Being“ von Roland Rauschmeier mit Alex Bailey, Foto: Emilia Milewska
Wie groß ist der Einfluss des Digital-Virtuellen auf die Bühne, insbesondere die Freie Bühne? Für mich ist das nur ein weiteres Medium, welches im Theater benutzt wird, aber es ist eines unter vielen. Ähnlich wie lange Zeit ein starker Einfluss aus den Bereichen Tanz oder Bildende Kunst oder Musik spürbar war oder eben Video, sind das jetzt die Neuen Medien und die medientheoretische Beschäftigung damit. Natürlich beschäftigen sich Künstler stark mit neuen Kommunikationsformen.
Aber das ist keine Gefahr für die Darstellende Kunst an sich? Das finde ich nicht. Auch in den aktuellen Impulse-Produktionen stellt sich die Frage nach dem Realen, in dem wir uns befinden. Was ist, wenn wir die Tablets weglegen oder wenn wir sie einschalten? Ist es ein erweiterter Raum? Bei Teresa Vittuccis „All Eyes On“ wird das sehr klar, wenn sie als Performerin gleichzeitig in einem Sex-Chat ist und mit dem Publikum spielt. Die Frage ist also, was es heißt, wenn der Körper einerseits real mit uns in einem Raum als Zuschauer und gleichzeitig aber auch virtuell und scheinbar für alle verfügbar ist.
Viel provokante Nacktheit im Programm. Ich dachte, die sexuelle Revolution hätten wir längst hinter uns? Ja, das denkt man immer. Aber in der befreiten Sexualität gab und gibt es ja immer noch riesige Machtgefälle und Diskriminierungen, die wiederum Unfreiheiten produziert haben. Deshalb wird jetzt wieder diskutiert: Wer zum Beispiel darf wessen Nacktheit sehen? Wie abgesprochen muss Sex sein und wie weit bleibt noch ein prekäres undefiniertes Terrain, wo man ein Risiko eingeht? Da gibt es verschiedene Beispiele in diesem Programm, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen, mit ganz unterschiedlichen Ansätzen. Bei Roland Rauschmeier und Alex Bailey wird auch eine neue Form von Männlichkeit ausprobiert.
Haiko Pfost
Foto: Sophie Thun
Zur Person
Haiko Pfost (*1972) war 2005 bis 2006 als Programm-
und Projektdramaturg beim Festival steirischer herbst in Graz engagiert und
leitete anschließend mit Thomas Frank das internationale Koproduktionshaus brut
Wien, das eine Neupositionierung als Dreh- und Angelpunkt der Performance-Szene
erfuhr. Von 2018 bis 2020 ist er Leiter des Theaterfestivals Impulse des
NRW Kultursekretariats.
Das Impulse Festival hat ja immer auch den Anspruch, die Kunst in die breite Öffentlichkeit zu tragen. Aber diese Theaterkennenlern-Mechanik über Zugänglichkeit funktioniert die überhaupt? Das muss ich ausprobieren. Mein Ziel war erst einmal eine Sprache in der Vermittlung zu finden, die verständlich ist. Und die drei Säulen des Festivals wenden sich auch jeweils vorwiegend an ein anderes Publikum. Es gibt neben dem Showcase ein Stadtprojekt, das versucht, einen unmittelbaren Zugang zu seinem Thema zu schaffen. Auf der anderen Seite ist das Impulse Festival „das“ Festival des Freien Theaters und wir zeigen Produktionen, die nicht nur am überzeugendsten, sondern auch die herausforderndsten sind. Darüber hinaus haben wir ein internationales Fachpublikum, das das Festival besucht, um Produktionen zu entdecken und auch im Ausland zu zeigen.
Und die Antwort auf den Rechtspopulismus ist das Mundart-Spiel? Auf keinen Fall. Die Antwort auf den Rechtspopulismus kenne ich auch nicht. Die Frage ist, was tun wir damit. Das Stadtprojekt beschäftigt sich mit der Frage, was passiert, wenn man etwas aufgeben muss: Wie ein Haus im Zentrum von Düsseldorf, ein letzter öffentlicher Ort, in dem verschiedene Institutionen eine Utopie der Demokratie entwickelt haben. Wovon nehmen wir da Abschied und von was wird es besetzt? Was bedeutet es, wenn wir eine bestimmte Trauerarbeit nicht leisten? Heißt das, dass sich die Verlustängste in Wut transformieren? Das mundartliche „Dorf Theater“, das Sie hier ansprechen, wird wahrscheinlich der fremdeste Beitrag sein, den wir überhaupt im Programm haben. Denn obwohl diese Dorftheater in der Zentralschweiz liegen, also in der Mitte von Europa, verstehen oft nicht mal die Schweizer die Sprache und den kulturellen Kontext. Das ist für uns Metropolenmenschen eine fremdere Welt, als wenn ich mir eine abgedrehte Performance in New York anschaue. Das in einem Avantgarde-Festival als Eröffnung zu zeigen ist ein echtes Risiko, weil wir uns dabei nicht selbstbestätigend auf die Schulter klopfen können.
Also ist das Dörfliche die wahre Avantgarde? Die Chance ist, dass wir einen Raum dafür eröffnen, in eine Diskussion einzutreten. Das vermisse ich so oft. Und dass wir nicht nur auf „die anderen“ schauen, sondern dass sie auch auf uns schauen. Die echten Dorftheater-Darsteller sind nicht selbst live auf der Bühne, sondern werden von Schauspielern vertreten. Sie kommentieren aber über Video auch unsere Welt. Das ist tatsächlich ein ganz fremder Blick aufeinander. Und das ist fremder, als wenn wir uns in unserer Blase, in unserem intellektuellen Milieu bewegen, egal ob ab Rhein und Ruhr, in Johannesburg oder New York.
Impulse Theater Festival 2018 | 13. - 24.6. | Mülheim an der Ruhr, Düsseldorf, Köln | www.impulsefestival.de
INTERVIEW: PETER ORTMANN
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