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Damian Popp
Foto (Ausschnitt): Laura Thomas

„Eher die Hardcore-Variante von Shaw“

30. April 2024

Regisseur Damian Popp über „Pygmalion – My Fairest Lady“ am Schlosstheater Moers – Premiere 05/24

In „Pygmalion“ von Bernard Shaw mussEliza Doolittle einen Selbstoptimierungsprozess durchlaufen, um den gesellschaftlichen Aufstieg zu erreichen.Ein Gespräch mit Damian Popp, der das Stück am Schlosstheater Moers als Musical inszeniert. 

trailer: Herr Popp, je kürzer die Textmitteilungen werden, desto mehr verarmt die Sprache. Wird in Ihrer Inszenierung von Bernard Shaws Schauspiel viel gechattet?

Damian Popp:
Bei uns geht es nicht um einen angeblichen Verfall der Sprache, sondern um Sprache als Distinktionsmerkmal, die einerseits dazu genutzt werden kann, sich voneinander abzugrenzen und/oder sich über andere zu erheben. Andererseits zeigen wir, wie mündliche Kommunikation ermöglichen kann, Klassengrenzen zu überschreiten. Kurz: Bei uns wird nicht gechattet.

„Pygmalion“ wurde bereits unter dem Titel „My Fair Lady“ als Musical adaptiert. Aus „fair“ wird bei Ihnen aber „my fairest“, also „meine schönste“.

Der Superlativ „fairest“, diese Überspitzung, ist Ausdruck der Selbstoptimierung. Eliza Doolittle akzeptiert zunächst, dass sie es ist, die sich ändern muss, um ihre Situation zu ändern. Sie muss sich anstrengen, fleißig sein, lernen, sich (neu) bilden. Besser werden, immer besser. Erst im Verlauf des Stücks erkennt sie, dass auch die anderen einen Schritt auf sie zugehen müssen. Und sich auch die Gesellschaft wandeln sollte. Shaws Komödie ist eine Umkehrung von Ovids „Pygmalion“. Bei Ovid wird eine Statue zum Leben erweckt. Bei Shaw wird aus einem lebhaften Menschen, eine „Dame der besseren Gesellschaft“, was das auch immer heißen soll. Es geht auch um Bildung, und das ist ein komischer Begriff. Er meint oft eine „Veredelung“, eine Rangerhöhung eines Menschen, der ohne Bildung roh wäre und erst zu einem richtigen Menschen geformt werden müsste. Eliza verliert durch die „Gestaltung“, die „Bildung“ durch ihren Lehrer Higgins ihre Unbefangenheit, wird einer Statue ähnlich. Eine Überlegung für den Titel war auch „My Fairest Human Being“. Da wurden tatsächlich einige Varianten gesponnen. Aber wir haben uns dann geeinigt, denn das ist alles nicht mehr so eingängig, wenn man den Bezug zu „My Fair Lady“ nicht mehr hat. Der Titel hat jetzt ein Augenzwinkern, das sagt, die Erzählung könnte anders als in „My Fair Lady“ und womöglich besser werden.

Wie weit wird denn die Jetztzeit-Eliza im Spätkapitalismus kommen?

Ich denke auf jeden Fall weiter, als so manche Leute glauben. 

Erwartet uns eher eine Operetten-Liebesgeschichte oder die Hardcore-Version von Bernard Shaw?

Es wird eher die Hardcore-Variante von Shaw – gepaart mit einer Musicalwelt. Die Rezeptionsgeschichte ist hier wirklich interessant. Wir müssen immer noch diese alten Übersetzungen abschütteln, die mit dem Bernard Shawschen Stoff so getrieben wurden, gegen die er selbst zu Lebzeiten noch gekämpft hat. Wo er sogar das Ende geändert hat, weil er diese Liebe zwischen Higgins und Eliza überhaupt nicht erzählen wollte. Irgendwie hat die Theaterwelt das aber nicht kapiert. Nach seinem Tod wurde schnell aus „Pygmalion“ „My Fair Lady“ gemacht. Und da hat er sich sicher im Grab umgedreht. Mit diesem Bild von dem Stoff, den wir aus unserer Jugend so kennen, müssen wir arbeiten und dazu aufrufen: Schaut oder hört doch mal genauer hin! Wenn man sich den Film mit Audrey Hepburn heute anschaut, muss man sagen, das ist schon ein ziemlich verschrobenes Frauenbild, das neu erzählt werden muss. Wir versuchen nah bei Shaw zu bleiben, der ein Kämpfer für Frauenrechte war, die Suffragetten unterstützte, wollen mit den Aspekten Musical, Lady und all den Klischees dieser Aufführungen aufräumen. Es gibt heute verschiedene Varianten. „Pygmalion“ wird gerade am Residenztheater in München gespielt, am Gorki Theater – und am Deutschen Theater in Berlin kommt es auch neu raus. Da gibt es die unterschiedlichsten Versuche, den Stoff neu zu erzählen. Diese zeigen vielleicht auch, wie schwer man sich mit dem Stoff tut. 

Eine musikalische Umsetzung hat wohl ja mindestens Operettenniveau. Können die Schauspieler:innen in Moers denn alle singen?

Das ist ja genau ein Thema dieses Stoffs: Was ist gut, was ist schlecht, was ist funktional für die obere Schicht oder die untere? Das ist mehr oder minder den Schauspieler:innen und der musikalischen Leitung von Jonas Schilling überlassen, ob sie das „gut“ singen wollen oder „schlecht“. Am Ende entscheidet doch das Publikum, was sie für „gut“, „schlecht“ oder „angemessen“ erachten. Erwartungshaltungen werden sicher gebrochen und bestätigt. 

Viel Bewegung ist ja in Moers nicht möglich. Wie macht man das dann mit der Choreografie?

Da sind wir gerade dran. Da fragen wir uns natürlich: Können die Schauspieler:innen auch Hebefiguren und alles, was Musicaldarsteller:innen auch noch können? Wir tun unser Bestes, um so spektakulär wie nötig diese Show zu gestalten. Wir versuchen, alle Ecken, die wir auf der gar nicht so kleinen Bühne, die Tanja Maderner uns samt der Kostüme großartig erdacht und gestaltet hat, auszuspielen. 

Ich zitiere mal aus dem Ankündigungstext von der Moerser Theater-Website, da steht am Ende: „bunt, schräg, witzig, brutal und schonungslos“. Was heißt denn das Wort „brutal“?

Brutal ist, wie Menschen miteinander umgehen. Und hier weniger körperlich brutal, sondern seelisch brutal, zwischenmenschlich brutal. 

Sie haben den Pygmalion-Mythos schon angesprochen: Kommt auch eine Beseelung in Ihrer Inszenierung vor?

Ja, wir arbeiten gerade daran, inwiefern unsere Arbeit an dem Stoff oder generell am Theater eine Art Beseelung von zunächst nicht existenten Figuren ist und wie wir diesen Prozess schlüssig in die Inszenierung mit einfließen lassen können.

Pygmalion – My Fairest Lady | 3. (P), 5., 10., 12., 25., 26.5., 2.6. | Schlosstheater Moers | 02841 883 41 10

Interview: Peter Ortmann

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