Das Kino ist ein Ort der einheitlichen Popcorn-Unterhaltung oder ein Rückzugsort für intellektuelle und nachdenkliche Momente. Doch das Medium Film hat einen Feind, der den eigenen vier Wänden des vertrauten Heims entspringt: TV-Serienmarathons auf dem Sofa sind doch viel bequemer als ein Kinobesuch. Und außerdem muss es ja nicht immer gleich Spielfilmlänge sein.
Das Programmkino „Endstation Kino“ in Bochum-Langdreer hat die Lösung gefunden: Kurzfilme – eine seltene und untergehende Filmgattung, die man höchstens noch im Internet, auf Festivals oder bald in Museen betrachten kann. Anna Sowo Koenning vom Endstation Club hat den Kurzfilmabend veranstaltet, der fünf kurze (Meister-)Werke von lokalen Filmemachern vorstellte und das Publikum zum kritischen Dialog einlud. Eintritt frei. Anscheinend besteht noch immer der Wunsch Geschichten in ihrer kürzesten Form zu sehen, denn Gäste erschienen zahlreich. Das lag wohl an der thematischen und stilistischen Vielfalt, die man so in keinem Langfilm wiederfindet. Übrigens: Die Veranstaltung wurde auch auf Arabisch übersetzt.
Fünf Filme wurden an diesem Abend gezeigt, mit Spielzeiten von sieben bis 25 Minuten. Auf einen dieser Filme habe ich mich besonders gefreut: meinen eigenen. „BlackTea. A Short Story“, ein in den Dörfern Griechenlands gedrehtes Drama, durfte hier seine Premiere feiern. Es spielt mit der Unberechenbarkeit und Intertextualität einer literarischen Kurzgeschichte. Ein argloser Autofahrer wird von einem anderen Autofahrer provoziert und ungewollt in ein Straßenrennen verwickelt, bis die Geschichte ungeahnte, gewalttätige Züge annimmt.
Es ist eine griechische Produktion, die während meines Master-Studiums an der Filmschule der Aristoteles Universität in Thessaloniki entstanden ist. Es war mir selbstverständlich eine Ehre meine griechische Universität zu repräsentieren, denn trotz politischer und wirtschaftlicher Krise ist die Filmindustrie in Griechenland nicht tot. Mit Talenten der Universität und den Theater- und TV- Schauspielern Alexandros Nikolaidis, Markos Totskas und Angelica Garoufali haben wir einen Film gedreht, der sich sowohl stilistisch als auch inhaltlich von den Sehgewohnheiten des gegenwärtigen Mainstream-Kinos abhebt und bewusst filmgeschichtliche Klischees im Kontext der 60er Jahre verarbeitet. Die Nachproduktion schlossen wir in Deutschland ab. Die Farben übernahm der Kolorist Merlin Jahn, den einzigartigen Jazz-Sound komponierte der Musiker Malte Winter.
Nachdem das Publikum wieder aufgeatmet hatte und die drei, die das Kino aus einem unbekannten Grund verlassen hatten, wieder an ihre Plätze zurückgekehrt waren, ging es mit Anna Irma Hilfrichs „ka-putt“ weiter. In minimalistisch-dokumentarischer Form sehen wir die Kamera frontal auf das Gesicht der Regisseurin gerichtet, während ihre Mutter ihr die Haare schneidet. Ein überraschend witziger und dennoch intimer Dialog beginnt, wenn die Mutter über die Migration von den Philippinnen, ihre ersten Eindrücke von Deutschland und verschiedenen Berufen erzählt. Informationen, aus denen sowohl der Zuschauer als auch die Regisseurin lernen konnten, da sie nicht nur die Geschichte ihrer Mutter, sondern auch die eigene aufarbeitet. Das Material lag 7 Jahre lang in der Schublade bevor es zur Verwendung kam.
„Klowinski“ zeigt den detaillierten Racheplan des zynischen Toilettenreinigers Pavel Klowinski an seinem Vorgesetzten Willy. Trotz Toilette, kein reiner Fäkalhumor, sondern gelungene Satire. Der Regisseur Marvin Litwak war nicht anwesend.
Das Kollektiv I AM HERE, um Maik Schuster, Fatmir Dolci und Max Paschke, geht mit einem 7-minütigen Clip „WALLS“ gerade durch die Decke – oder auch durch Wände. Der zahlreich national und international nominierte und ausgezeichnete Kurzfilm in Musikvideo-Ästhetik wurde in Deutschland, Kroatien und Palästina gedreht und setzt sich poetisch und politisch mit den noch zu überwindenden Mauern auf unserer Welt und vor allem in unseren Köpfen auseinander. Der Soundtrack stammt vom französischen Produzenten Phazz, der Film wurde von der Filmwerkstatt FH Dortmund unterstützt. Das Fazit: „They are made of bricks, they are made of steel, they divide. But the thing is, they get built in people’s heads.”
Philip Hallay, der auch für das Sound-Design für „WALLS“ verantwortlich ist, stellte noch einen kurzen Ausschnitt seiner Autobahn-Dokumentation „Projekt: Waende Südost“ vor, die die Schönheit des Ruhrgebiets mit dem zentralen Thema der Autobahn neu definieren soll. Es werden Künstler befragt, die die Betonlandschaft ästhetisch verändern wollen, und auch Anwohner, die mit der Autobahn leben müssen.
Dann stellte das Publikum Fragen zu Entstehungsgeschichte, Produktionsbedingungen, Kameraeinstellungen und theoretischen wie ästhetischen Aspekten. I AM HERE berichtete vom abenteuerlichen Dreh in Palästina und erklärte, auch Themen wie die Flüchtlingskrise und der Palästinakonflikt seien zu ästhetisieren.
Nach der abschließenden Diskussion verließen wir das Kino, mit beruhigtem Gewissen, dass das Ruhrgebiet – wie Philip Hallay erwähnte – doch nicht so grau und hässlich und somit unkreativ ist, wie zuweilen behauptet wird. Kreativer In- und Output ist überall zu finden; das haben alle Kurzfilme bewiesen. Die Reaktionen der Zuschauer sprechen für sich: Es wurde gelacht, applaudiert, vielleicht geweint, man erschrak, hustete oder schnaufte gar empört.
Der Kurzfilmabend im Endstation Kino war kein gewöhnlicher Kinobesuch, da Kurzfilme nicht gewöhnlich sind. Die Veranstaltung bot eine wichtige Plattform für junge und lokale Filmemacher, um ihre Filme im Kino zu präsentieren, zu diskutieren und auch andere Länder zu repräsentieren. So wurde das Ganze ein abwechslungsreiches, kulturelles Erlebnis. Und auch wenn das Material wie bei „ka-putt“ erst in der Schublade landet, Filme – ja, besonders kleine Kurzfilme – sind für die große Leinwand gedacht. Vorhang zu und Licht aus.
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