„Was kommt nach dem Schlag?“ Das will der Schulleiter Father McEnroe von dem jungen Pedro Machuca (Ariel Mateluna) wissen. Die pädagogische Ansage folgt auf die Schulhof-Prügelei, in die sich Machuca hat hineinreißen lassen. Hier, in dieser Jungenschule Saint Patrick, in der Kinder aus der Oberschicht und aus den Slums erstmals zusammengeworfen werden, fliegen anfangs noch die Fäuste. Befreiungstheologen wie McEnroe bemühen um ein Gemeinschaftsgefühl unter den Schülern. Trotz der Klassengrenzen.
Von diesen bildungspolitischen Maßnahmen erzählt der Film „Machuca, mein Freund“. Es sind die letzten Tage der demokratisch gewählten, sozialistischen Allende-Regierung. Bis sie schließlich trotz aller Hoffnungen von der chilenischen Elite und der CIA brutal gestürzt wurde. Anlässlich dieses anderen 11. Septembers, der im Jahr 1973 die Militärjunta Pinochets an die Macht brachte, zeigte das endstation.Kino die filmische Aufarbeitung des Putsches, um im Anschluss an die Vorstellung zu einem Gespräch mit Eledin Parraguez einzuladen.
Eledin Parraguez schrieb eine Autobiographie, in der er seine Erfahrungen festhielt: von der bildungspolitischen Emanzipation, die er als Kind aus den Slums erfuhr; über die Vision von sozialer Gerechtigkeit der Allende-Regierung bis hin zu den Freundschaften, die er schließen konnte. Und diesen Schwebezustand führe der Spielfilm von 2004 auch gut vor Augen, befindet Parraguez: „Es ist ein ganz schönes Stück über die Geschichte, die Bildung und die Träume die wir hatten.“
Im Mittelpunkt von Andrés Woods Film steht die Freundschaft, die Machuca mit Gonzalo schließt, einem „Bonzenkind“, wie er zunächst verspottet wird. Dass dieser Sommer des Sozialismus diese Beziehung ermöglichte, war allerdings keine bloße Leinwandidee. Parraguez trifft sich noch immer regelmäßig mit ihm sowie den anderen Klassenkameraden von einst. „Selbst wenn ich die Schule nicht beendet habe, gehören alle zu dieser Gruppe. Dieses Jahr feiern wir das 45-jährige Bestehen“, so Parraguez. „Auch wenn Klassenunterschiede bestehen, können wir über alles miteinander reden.“
Pinochets Junta führte mit Gewalt wieder die alten Verhältnisse ein: Privilegien für die Elite, Marktliberalismus, Verdrängung der Slums. Von allem war auch Parraguez und seine Familie betroffen, wie er an diesem Abend erzählt. Nach dem Rauswurf aus dem Saint Patrick fand er Unterschlupf in einer Jesuiten-Schule. Die neoliberalen Maßnahmen unter Pinochet hatten in diesen Jahren noch nicht die Hochschulen erreicht, sodass Parraguez noch mit viel Glück ein Studium in Santioga de Chile beginnen und schließlich in den USA fortsetzen konnte.
Heute vermittelt der Pädagoge die sozialistischen Werte von einst, womit er gegen den neoliberalen Trend ankämpft. Parraguez: „Erziehung und Bildung dürfen nicht nur gegen Geld zu kriegen sein, es sind die ersten Werkzeuge für soziale Gerechtigkeit.“ Der Chilene gibt in seinem Land kostenlosen Literaturunterricht und schreibt Poesie. „Aber ohne soziale Gerechtigkeit kann es keine Schönheit geben“, so der Autor. Es ist die Lehre, die Parraguez aus dem Allende-Experiment und den engagierten Befreiungstheologien zieht. Auch nach dem Schlag gegen die sozialistische Utopie.
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