Auch der alltäglichen Scheiße muss die Literatur was Schönes abringen. Das machen zumindest die Texte des Poetry Slammers und Rappers Bülent Demirtas alias 2Seiten. Als der Dorstener einige Minuten verspätet im Lesesaal des Dortmunder Hoesch-Museums ankommt, muss er dem Publikum erst mal gestehen: „Ich hatte einen sehr schlechten Tag“. Und doch kann er sich kaum bremsen, sofort loszulegen: „Wollt Ihr Musik hören? Soll ich lesen?“ In den Sitzreihen reagiert man aber nur verhalten. „Sprecht mit mir. Das ist jetzt so was wie Interaktion“, hakt 2Seiten nach. Schließlich liest er.
Weit weg von der Musik sind seine Texte jedoch nicht: rhythmisch, flott und einprägsam. Gerappter Slam und poetischer Rap mit der Ansage, die Tristesse zum Tanzen zu bringen. Von „Gitterstäben des Lebens“ erzählt er etwa in seinem kurzen Text „Simpel und einfach“ – mit der Forderung: „Flieg hinaus aus dem Alltag, der sich grau kleidet.“
Viele Verse wirken so gehetzt, dass man sich zuweilen doch Musik dazu wünscht, wenn 2Seiten der, wie er es formuliert, „Dynamik des Lebens“ auf der Spur ist. Für ihn gehe es dabei auch, so erklärt er es an diesem Abend dem Publikum, um die Aufarbeitung einer bipolaren Störung, mit der er schon seit Jahren kämpft. Damit setzt er sich auch in seinem Song „Robin Williams“ auseinander, der vor einigen Wochen erschien. Der berühmte Schauspieler nahm sich nach einer langen Depression das Leben – für 2Seiten so was wie eine Symbolfigur, wie er auch in seinem Songtext klar macht: „Ich, Du, er, sie, es, wir sind Robin Williams.“ Nicht ohne vor allem die hoffnungsvollen Seiten hervorzuheben: „Sag mal eigentlich: findest Du das ganze Leben sinnlos? Einmal kurz die Hände hoch, guck hinterm Horizont, findest Du deinen Wendepunkt. Ich bin die Veränderung, Parkplatz für die Euphorie.“
Ruhe findet sein lyrisches Ich, wenn es die idyllische Ruhe am Rande der Stadt schildert, eine Romantik des posturbanen Raum: „Die Zechen sind tot, der Puls ist ruhig.“
Wenn man so will, das Kontrastprogramm zur Lyrikerin Lütfiye Güzel. Denn die Duisburgerin schildert in ihren mittlerweile schon fünf Büchern das beinharte Ruhrpott-Leben: den tristen Moloch, die gleichgültigen Fressen da draußen und die erdrückende Enge in der elterlichen Wohnung. Die expressionistische Losung: Bleistift anspitzen und wenn geschrieben wird, „stillt das tatsächlich meinen Weltschmerz für einen Moment.“ Da ist sie ihrem Literatur-Kollegen nicht unähnlich. „Kollegen klingt so kalt“, sagt sie. „Wir sind Dichter – nein, Leidensgenossen.“ So schreibt auch sie die Ungereimtheiten und Ungerechtigkeiten da draußen pointiert um, melancholische Aphorismen gegen eine kalte Welt – etwa wenn eine Bahnreise geschildert wird: „In der ersten Klasse fahren Menschen, in der zweiten Sitze.“
Güzels Erzählungen begeistern da, wo ihre Ich-Erzählerin mit dem fast entfremdeten Blick eines Kindes durch den substanzlosen, grauen Alltag streift, um neue Erkenntnisse zu bergen: mal mit rohem Sarkasmus, mal mit leiser Lakonie. Bestürzend und bezaubernd. Aber immer das Schöne im Blick – um den schlechten Alltag zu meistern.
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