Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
16 17 18 19 20 21 22
23 24 25 26 27 28 29

12.581 Beiträge zu
3.811 Filmen im Forum

Jürgen Scheffran
Foto: David Ausserhofer

„Mit nachfolgenden Generationen solidarisieren“

30. November 2017

Jürgen Scheffran über das Konfliktpotential des Klimawandels – Thema 12/17 Prima Klima

trailer: Herr Scheffran, warum ist der Klimawandel eine zentrale Sicherheitsbedrohung des 21. Jahrhunderts?
Jürgen Scheffran: Die globale Erwärmung bedeutet eine massive Veränderung des Erdsystems. Die Folgen können in den Brennpunkten des Klimawandels so schwerwiegend sein, dass sie eine existentielle Bedrohung für Individuen und Gruppen, aber auch ganze Gesellschaften darstellen. Wo die Verwundbarkeit besonders hoch ist, sind solche Veränderungen kaum zu bewältigen.

Was meinen Sie mit der Verwundbarkeit von Gesellschaften?
Wer einem Risiko ausgesetzt ist, versucht sich davor zu schützen, wenn die Möglichkeit dazu besteht. In reicheren Ländern wie Deutschland kann sich der wohlhabendere Teil der Gesellschaft besser schützen oder versichern. Beispiele sind Deichbau, Gebäudesanierung, Veränderung der Lebensweise oder Umzug, um den Bedrohungen auszuweichen. Menschen mit geringem Einkommen, die in besonders gefährdeten Zonen wohnen, sind den Risiken dagegen meist schutzlos ausgesetzt oder werden zur Flucht gezwungen, wenn sie keine Hilfe von der Solidargesellschaft bekommen.

Entwicklungsländer sind stärker betroffen als westliche Industriestaaten. Zynisch gefragt: Warum sollten letztere sich mit dem Klimawandel beschäftigen? 
Verschiedene Klimaprojektionen gehen von einer Zunahme extremer Wetterereignisse aus, wobei sich etwa ein einzelner Sturm nicht kausal auf den Klimawandel zurückführen lässt. Auch in der westlichen Welt könnten hunderttausende, vielleicht sogar Millionen Menschen von Klimafolgen betroffen sein. Wer heute ein Kind bekommt, kann mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit annehmen, dass es noch im Jahr 2100 leben wird. Dann dürften die Folgen des Klimawandels in vollem Umfang spürbar sein, wenn sie nicht zuvor verhindert werden. Wir müssen uns fragen, inwieweit wir uns mit den nachfolgenden Generationen solidarisieren.

Welche Konflikte können durch klimatische Veränderungen entstehen?
Menschen können sich um knapp werdende Ressourcen wie Wasser und Nahrung streiten. Wo bereits Konflikte vorhanden sind, ist auch die Anfälligkeit gegen klimabedingte Konflikte hoch. Der Klimawandel kann als Risikoverstärker dienen, der verschiedene Krisen- und Konfliktursachen miteinander verbindet. Aufgrund der Komplexität der Zusammenhänge ist der Einfluss des Klimawandels auf Konflikte statistisch nicht einfach nachzuweisen. Einige empirische Untersuchungen finden, dass in früheren historischen Zeiträumen klimatische Veränderungen zur Destabilisierung verwundbarer Gesellschaften beigetragen haben. Für jüngere Zeiträume sind die Zusammenhänge weniger klar und nicht einfach aus der Vergangenheit abzuleiten, weil wir es heute mit neuen Dimensionen zu tun haben. So  haben wir es bisher mit einer globalen Erwärmung von weniger als ein Grad zu tun. Für die Zukunft erwarten wir drei bis vier Grad oder mehr, wenn nichts geschieht.

Wie könnten solche Konflikte verhindert werden?
Nach Ende des Kalten Krieges sank die Zahl von Konfliktherden, steigt aber seit einigen Jahren wieder deutlich an. Das gefährdet Bestrebungen, Konflikte zu bewältigen. Neben Abkommen auf globaler und internationaler Ebene, wie das Pariser Klimaabkommen, bietet regionale Zusammenarbeit die Möglichkeit, Konflikten entgegenzuwirken. Auch hier gilt: Wo Kooperation gut entwickelt ist und funktioniert, kann sie ausgebaut werden. So wird an vielen größeren Flussläufen die Wasserverteilung und -nutzung durch Abkommen und Verhandlungen geregelt. Ein Beispiel sind die Wasserkonflikte an bestimmten Flussläufen, etwa am Nil, am Jordan oder in Südasien. Hier spielen Machtfaktoren eine Rolle, und stärkere Staaten setzen sich mehr durch, wobei bislang der Einsatz von Gewalt und Militär in solchen Konflikten selten ist. Insgesamt gibt es in der Welt mehr Wasserabkommen als gewaltsame Wasserkonflikte.

Viele Konflikte sind geographisch weit entfernt. Inwiefern könnte Europa oder Deutschland von Gewaltkonflikten betroffen sein?
Deutschland ist keine Insel, die vom Rest der Welt abgeschottet ist, sondern auf vielfältige Weise mit der Welt verbunden. Preisschwankungen haben Auswirkungen auf die Märkte, und wir hängen an bestimmten Güterströmen. Wenn durch den Klimawandel andernorts die Güterketten, die Energie- und Stromnetze oder gar die Nahrungsmittel- oder Wasserversorgung unterbrochen oder zerstört werden, betrifft das auch Deutschland.  Hinzu kommen Migrationsbewegungen, die woanders ausgelöst werden, entweder als Folge von Krieg oder durch Klimawandel. Wenn noch mehr Zäune und Mauern gegen diese Menschen errichtet werden und sich der Nationalismus innerhalb Europas ausbreitet, betrifft das auch Deutschland. Gerade die deutsche Geschichte zeigt, dass Menschen Wege finden, Grenzen und Mauern zu überwinden.

Die Extremform des Konflikts ist Krieg. Entscheiden Auswirkungen des Klimawandels über Krieg und Frieden?
Wir erleben im Moment eine Zeit, in der einige Staaten auf die Probleme der Welt mit Aufrüstung reagieren, nach dem Motto: Wenn irgendwo Gewaltkonflikte ausbrechen, kommt das Militär zum Einsatz. Das ist der falsche Weg. Zum einen werden dabei enorme  Ressourcen verbraucht, die sinnvoller für die Vermeidung von Konfliktursachen verwendet werden, insbesondere für die Lösung der Klimafrage. Zudem wird dadurch noch Öl ins Feuer gegossen, wodurch Konflikte weiter angeheizt werden. Die Fokussierung auf Militär und Rüstung ist auch ein schlechtes Vorbild für andere Staaten. Die Herausforderungen des Klimawandels benötigen ein kooperatives Umfeld. Wenn Krisen zunehmen und der Weg der Aufrüstung weiter beschritten wird, dürfte es schwierig werden, die Klimafrage zu lösen.


Lesen Sie weitere Artikel
zum Thema auch unter: choices.de/thema und engels-kultur.de/thema

Aktiv im Thema

klimaexpo.nrw | Die Initiative der Landesregierung soll bis 2022 erfolgreiche Klimaschutz-Projekte und -Ideen einem breiteren Publikum vermitteln.
klimawandel-verstehen.de | Guter und verständlicher Einstieg ins Thema mit ersten Handlungsempfehlungen für jedermann.
germanwatch.org | Die deutsche NGO setzt sich für globale Gerechtigkeit und Verantwortung ein mit Schwerpunkt Klimawandel.

Wie wollen wir (über)leben: Was machen Sie persönlich im Alltag anders?
Klimaschutz am Küchentisch? Zukunft jetzt!
Schreiben Sie uns unter meinung@trailer-ruhr.de

Interview: Maxi Braun

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Mufasa: Der König der Löwen

Lesen Sie dazu auch:

Wem gehört die Ökosphäre?
Seminar „Die Rechte der Natur“ in der VHS Dortmund – Spezial 05/24

Spaß an der Transformation
Gutes Klima Festival in Essen – Festival 07/23

Glück auf, Digitalisierung!
New Now in Essen – Festival 05/23

„Wir werden uns der Abbagerung in den Weg stellen“
Linda Kastrup über die geplanten Klima-Proteste in Lützerath – Spezial 01/23

Wege aus der Klimakrise
Online-Vortrag für das Eine Welt Zentrum mit Ottmar Edenhofer

Krisen im Doppelpack
Klima-Talk bei Urbane Künste Ruhr – Spezial 04/21

Wende sofort
Köln: Students for Future radeln „Ohne Kerosin nach Berlin“ – Spezial 09/20

Brücken besetzen
Extinction Rebellion demonstrierte in Köln – Spezial 07/19

Ab in die Ferien? Ab auf die Straße!
„Klimawandel JETZT“ am 9.7. am Schauspiel Dortmund – Spezial 07/19

Camping fürs Klima
Fridays for Future streikt auf dem Alter Markt in Köln – Spezial 07/19

Keine Jugendbewegung bleiben
Die Fridays for Future-Zentraldemo in Aachen – Spezial 07/19

Nicht nur hinter den Ohren grün
Fridays for Future – internationaler Klima-Protest in Köln – Spezial 03/19

Interview

HINWEIS