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Jürgen Scheffran
Foto: David Ausserhofer

„Mit nachfolgenden Generationen solidarisieren“

30. November 2017

Jürgen Scheffran über das Konfliktpotential des Klimawandels – Thema 12/17 Prima Klima

trailer: Herr Scheffran, warum ist der Klimawandel eine zentrale Sicherheitsbedrohung des 21. Jahrhunderts?
Jürgen Scheffran: Die globale Erwärmung bedeutet eine massive Veränderung des Erdsystems. Die Folgen können in den Brennpunkten des Klimawandels so schwerwiegend sein, dass sie eine existentielle Bedrohung für Individuen und Gruppen, aber auch ganze Gesellschaften darstellen. Wo die Verwundbarkeit besonders hoch ist, sind solche Veränderungen kaum zu bewältigen.

Was meinen Sie mit der Verwundbarkeit von Gesellschaften?
Wer einem Risiko ausgesetzt ist, versucht sich davor zu schützen, wenn die Möglichkeit dazu besteht. In reicheren Ländern wie Deutschland kann sich der wohlhabendere Teil der Gesellschaft besser schützen oder versichern. Beispiele sind Deichbau, Gebäudesanierung, Veränderung der Lebensweise oder Umzug, um den Bedrohungen auszuweichen. Menschen mit geringem Einkommen, die in besonders gefährdeten Zonen wohnen, sind den Risiken dagegen meist schutzlos ausgesetzt oder werden zur Flucht gezwungen, wenn sie keine Hilfe von der Solidargesellschaft bekommen.

Entwicklungsländer sind stärker betroffen als westliche Industriestaaten. Zynisch gefragt: Warum sollten letztere sich mit dem Klimawandel beschäftigen? 
Verschiedene Klimaprojektionen gehen von einer Zunahme extremer Wetterereignisse aus, wobei sich etwa ein einzelner Sturm nicht kausal auf den Klimawandel zurückführen lässt. Auch in der westlichen Welt könnten hunderttausende, vielleicht sogar Millionen Menschen von Klimafolgen betroffen sein. Wer heute ein Kind bekommt, kann mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit annehmen, dass es noch im Jahr 2100 leben wird. Dann dürften die Folgen des Klimawandels in vollem Umfang spürbar sein, wenn sie nicht zuvor verhindert werden. Wir müssen uns fragen, inwieweit wir uns mit den nachfolgenden Generationen solidarisieren.

Welche Konflikte können durch klimatische Veränderungen entstehen?
Menschen können sich um knapp werdende Ressourcen wie Wasser und Nahrung streiten. Wo bereits Konflikte vorhanden sind, ist auch die Anfälligkeit gegen klimabedingte Konflikte hoch. Der Klimawandel kann als Risikoverstärker dienen, der verschiedene Krisen- und Konfliktursachen miteinander verbindet. Aufgrund der Komplexität der Zusammenhänge ist der Einfluss des Klimawandels auf Konflikte statistisch nicht einfach nachzuweisen. Einige empirische Untersuchungen finden, dass in früheren historischen Zeiträumen klimatische Veränderungen zur Destabilisierung verwundbarer Gesellschaften beigetragen haben. Für jüngere Zeiträume sind die Zusammenhänge weniger klar und nicht einfach aus der Vergangenheit abzuleiten, weil wir es heute mit neuen Dimensionen zu tun haben. So  haben wir es bisher mit einer globalen Erwärmung von weniger als ein Grad zu tun. Für die Zukunft erwarten wir drei bis vier Grad oder mehr, wenn nichts geschieht.

Wie könnten solche Konflikte verhindert werden?
Nach Ende des Kalten Krieges sank die Zahl von Konfliktherden, steigt aber seit einigen Jahren wieder deutlich an. Das gefährdet Bestrebungen, Konflikte zu bewältigen. Neben Abkommen auf globaler und internationaler Ebene, wie das Pariser Klimaabkommen, bietet regionale Zusammenarbeit die Möglichkeit, Konflikten entgegenzuwirken. Auch hier gilt: Wo Kooperation gut entwickelt ist und funktioniert, kann sie ausgebaut werden. So wird an vielen größeren Flussläufen die Wasserverteilung und -nutzung durch Abkommen und Verhandlungen geregelt. Ein Beispiel sind die Wasserkonflikte an bestimmten Flussläufen, etwa am Nil, am Jordan oder in Südasien. Hier spielen Machtfaktoren eine Rolle, und stärkere Staaten setzen sich mehr durch, wobei bislang der Einsatz von Gewalt und Militär in solchen Konflikten selten ist. Insgesamt gibt es in der Welt mehr Wasserabkommen als gewaltsame Wasserkonflikte.

Viele Konflikte sind geographisch weit entfernt. Inwiefern könnte Europa oder Deutschland von Gewaltkonflikten betroffen sein?
Deutschland ist keine Insel, die vom Rest der Welt abgeschottet ist, sondern auf vielfältige Weise mit der Welt verbunden. Preisschwankungen haben Auswirkungen auf die Märkte, und wir hängen an bestimmten Güterströmen. Wenn durch den Klimawandel andernorts die Güterketten, die Energie- und Stromnetze oder gar die Nahrungsmittel- oder Wasserversorgung unterbrochen oder zerstört werden, betrifft das auch Deutschland.  Hinzu kommen Migrationsbewegungen, die woanders ausgelöst werden, entweder als Folge von Krieg oder durch Klimawandel. Wenn noch mehr Zäune und Mauern gegen diese Menschen errichtet werden und sich der Nationalismus innerhalb Europas ausbreitet, betrifft das auch Deutschland. Gerade die deutsche Geschichte zeigt, dass Menschen Wege finden, Grenzen und Mauern zu überwinden.

Die Extremform des Konflikts ist Krieg. Entscheiden Auswirkungen des Klimawandels über Krieg und Frieden?
Wir erleben im Moment eine Zeit, in der einige Staaten auf die Probleme der Welt mit Aufrüstung reagieren, nach dem Motto: Wenn irgendwo Gewaltkonflikte ausbrechen, kommt das Militär zum Einsatz. Das ist der falsche Weg. Zum einen werden dabei enorme  Ressourcen verbraucht, die sinnvoller für die Vermeidung von Konfliktursachen verwendet werden, insbesondere für die Lösung der Klimafrage. Zudem wird dadurch noch Öl ins Feuer gegossen, wodurch Konflikte weiter angeheizt werden. Die Fokussierung auf Militär und Rüstung ist auch ein schlechtes Vorbild für andere Staaten. Die Herausforderungen des Klimawandels benötigen ein kooperatives Umfeld. Wenn Krisen zunehmen und der Weg der Aufrüstung weiter beschritten wird, dürfte es schwierig werden, die Klimafrage zu lösen.


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Interview: Maxi Braun

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