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Mazda Adli
Foto: Annette Koroll

„Nicht nur ärztliche, sondern auch politische Entscheidung“

26. März 2024

Teil 1: Interview – Psychiater Mazda Adli über Ängste infolge des Klimawandels

trailer: Herr Adli, was ist Klimaangst?

Mazda Adli: Wir sprechen heute häufig von Klimaangst, dann, wenn wir eigentlich Klimastress meinen. Wenn wir eine Gruppe von psychischen Befindlichkeitsstörungen bis hin zu Erkrankungen meinen, die entweder aus dem Wissen um oder dem Erleben von klimabedingten Lebensraumveränderungen hervorgeht. Uns versetzt das in Stress, in der Regel in chronischen Stress, verursacht ein Gefühl von Hilflosigkeit und kann dadurch zu psychischem Leid und Erkrankung führen. Angst ist dabei etwas eng gegriffen. Sie ist zwar ein häufig dabei vorkommender Affekt, doch es gibt nicht nur Angst. Sondern wir erleben auch Traurigkeit oder Wut.

Also ist Klimaangst durchaus berechtigt?

Nun, der Regel ist es ja meine Aufgabe als Psychiater, Ängste zu beruhigen. In diesem Fall muss ich aber sagen: Grundsätzlich ist die Angst berechtigt, denn die Situation, in der wir stecken, ist eine beunruhigende. Es ist vielleicht sogar eher pathologisch, wenn man bei dem Thema gar keine Angst verspürt. Nichtsdestotrotz brauchen wir uns dem Ganzen nicht hilflos ausgesetzt fühlen. Sondern es gibt eine Reihe von Dingen, die wir tun können. 

Sich für Klimaschutz zu engagieren, kann diese Ängste lindern“

Anders als bei Phobien ist Betroffenen nicht geholfen, wenn sie sich mit der Angst konfrontieren. Was kann man dagegen tun?

Im Vordergrund steht der Aufbau von Selbstwirksamkeitserleben. Das heißt, wenn man von Klimaangst betroffen ist und darunter sehr stark leidet, dann gilt es zu dem Gefühl und der Überzeugung zu finden, dass man dem Klimawandel eben nicht hilflos ausgesetzt ist. Sondern, dass wir einen Handlungsspielraum haben, um selbst aktiv zu werden. Sich für Klimaschutz zu engagieren kann zum Beispiel diese Ängste lindern.

Wann können diese Gefühle dennoch zum Problem werden?

Es wird dann zum Problem, wenn negative Emotionen so stark werden, dass sie den Alltag beeinträchtigen. Wenn ich zum Beispiel nicht mehr richtig meinem Alltag nachgehen kann, weil ich an nichts anderes mehr denken kann. Oder: Die Emotionen werden so stark, dass ich mich zunehmend in Konflikte mit anderen verrenne. Dann wird die Klimaangst vielleicht auch krankheitswertig und könnte ein Anlass dafür sein, sich Hilfe zu suchen.

Wenn man sich mit bestimmten Gedanken immer wieder in Konflikte verstrickt“

Würden Sie also dazu raten, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, sofern man sich zunehmend in Konflikte verstrickt?

Ja. Wenn man merkt, dass man sich mit bestimmten Ängsten oder Gedanken immer wieder in Konflikte verstrickt, dann kann es ein Zeichen dafür sein, dass man unter Stress steht und die eigene psychische Flexibilität leidet. Das treibt Stress dann weiter in die Höhe. Oder: Starke Klimaangst oder Wut führen dazu, dass wir ungeduldiger und unleidiger werden, dass wir unsere emotionale oder auch kognitive Flexibilität verlieren. Dann können wir uns nicht mehr gut in andere eindenken, die vielleicht eine andere Meinung vertreten. In Diskussionen ist man dann zum Beispiel nicht mehr gut aufgestellt. Wenn man solche Veränderungen an sich bemerkt, dann ist es wichtig, sich auch um Hilfe zu bemühen. Grundsätzlich gilt: Professionelle Hilfe ist dann angezeigt, wenn man sich über längere Zeit nicht mehr wohl in der eigenen Haut fühlt.

Negative Emotionen, die auf das Erleben des Klimawandels entstehen“

Die Gefühle, die mit der Zerstörung und dem Verlust von natürlichen Lebensräumen einhergehen, werden nun häufiger als Solastalgie diskutiert, ein Begriff, der an Trost und Schmerz angelehnt ist. Wie hängt das mit Klimaangst zusammen?

Unter Solastalgie verstehen wir die negativen Emotionen, die auf das Erleben des Klimawandels oder auch auf das Wissen um den Klimawandel entstehen. Solastalgie bedeutet eigentlich Traurigkeit oder, wörtlich übersetzt, Seelenschmerz und kann unterschiedliche emotionale Reaktionen umfassen. Dieser Begriff ist neu und beschäftigt uns Psychiaterinnen und Psychiater in den letzten Jahren in zunehmender Weise, z.B. auch auf unseren Kongressen, im fachlichen Austausch und in der Forschung.

Warum fällt es Menschen oft schwer, mit der Traurigkeit des Anderen umzugehen? Ist es schwerer als etwa mit Wut umzugehen?

Ach das würde ich gar nicht sagen, dass der Umgang mit Traurigkeit schwerer ist als mit Wut. Sie fühlt sich einfach nur anders an.

Für die Angehörigen macht es keinen Unterschied im Umgang damit?

Für die Angehörigen ist es oft einfacher, mit Traurigkeit umzugehen, da sie eine Emotion ist, die sich zu einem großen Teil nach innen richtet. Traurigkeit ist etwas, was Betroffene viel häufiger mit sich selbst ausmachen müssen, wohingegen Wut eben auch in der Regel stärker nach außen gekehrt ist.

Das Thema ist für viele schlecht auszuhalten“

Verdrängung ist ja allzu menschlich. Wieso ist sie gerade beim Klimawandel so auffällig?

Klimawandel ist in der Tat – das erleben wir auch in der Kommunikation – ein Thema, das sehr viel Verdrängung auslöst. Das Thema ist für viele schlecht auszuhalten. Viele Menschen überzieht es mit dem Gefühl der Hilflosigkeit. Da ist dann eine naheliegende Reaktion die Verdrängung. Das geht uns, glaube ich, allen so. Es ist ein Thema, das wir schnell mal wieder vom Tisch wischen, wenn wir der Meinung sind, dass wir daran nichts ändern können und es uns gleichzeitig aber Angst macht. Das sind die besten Voraussetzungen für Verdrängung: Nicht zu wissen, wie man ein Problem lösen kann gepaart mit negativen Emotionen. Aber Verdrängung hilft nicht weiter, weil wir wissen, dass Klimawandel, Erderwärmung und die Folgen davon nicht von alleine verschwinden werden. Auch, wenn wir die Augen zumachen und ganz doll versuchen an andere Dinge zu denken, wird es nicht von alleine besser. Von daher müssen wir uns in der Kommunikation zu diesem Thema auch darum bemühen, es in einer Weise zu besprechen, bei der die Leute nicht schreiend davon laufen, sondern sich damit beschäftigen und Lösungsmöglichkeiten entwickeln können.

Wir sind auf das, was auf uns zukommt, nicht gut vorbereitet“

Muss die medizinische Versorgung sich stärker auf die psychischen Folgen des Klimawandels einstellen?

Absolut. Wir gehen davon aus, dass sich die Inanspruchnahme medizinischer Versorgung ändern wird und sich unsere medizinischen Strukturen im Gesundheitssystem noch sehr den Folgen des Klimawandels anzupassen haben. Und, dass wir auf das, was auf uns zukommen wird, nicht gut vorbereitet sind. Als Psychiater spreche ich hier auch über einen steigenden Bedarf an psychiatrisch-psychotherapeutischer Versorgung, der sich im Kontext von Klimawandel-spezifischen Belastungen oder Extremwetterereignissen zeigen wird.

Die Zahl der Suizide steigt, wenn die Temperaturen steigen“

Welche Belastungen könnten das noch sein?

Um das mal konkreter zu fassen: 2021 wurde eine Meta-Analyse veröffentlicht, die zeigte, dass pro ein Grad Celsius Temperatur-Anstieg ein um 0,9 Prozent höheres Risiko für psychische Erkrankungen existiert. Was das für die deutsche Bevölkerung bedeuten würde, kann man sehr schnell mal umrechnen. Auf diese zusätzlichen 0,9 Prozent psychisch Erkrankte und damit Menschen, die unsere Hilfe benötigen, sind wir nicht vorbereitet und auch nicht auf diese besondere Form psychischer Belastung. Eine andere Studie aus dem vorletzten Jahr aus Großbritannien, der eine Erhebung aus verschiedenen globalen Regionen zugrunde lag, zeigte, dass sich sechzig Prozent der 16- bis 25-jährigen durch den Klimawandel extrem verängstigt fühlen und von Angst, Wut, Verzweiflung oder anderen negativen Emotionen berichten. Wiederum die Hälfte davon sagt, dass diese Ängste ihren Alltag in relevanter Weise beeinträchtigen. Es gibt also bereits Zunahmen, die wir sehen und auf die wir zu reagieren haben. Andere Beispiele: Wir wissen auch, dass die Inanspruchnahme unserer Rettungsstellen steigt, wenn es wärmer wird. Auch die Zahl der Suizide steigt, wenn die Temperaturen steigen. Dazu gibt es große Projektionen aus den USA, die das prognostizieren. Aus der Folgenforschung von Extremwetterereignissen ist bekannt, dass die Zahl von Depressionen, Angsterkrankungen und vor allem von posttraumatischen Belastungsstörungen ganz deutlich zunimmt. So zeigte dreißig Tage nach Katrina, dem Hurricane in den USA, die Hälfte aller Bewohner von New Orleans Anzeichen einer psychischen Erkrankung. Das waren vor allem Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen. Auf all das sind wir nicht gut vorbereitet und deswegen haben wir als Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) im vorletzten Jahr eine Berliner Erklärung veröffentlicht. Wir haben dabei Empfehlungen an die Politik formuliert und uns als deutsche Psychiatrie und Psychotherapie eine Selbstverpflichtung zu klimaschützendem Verhalten auferlegt.

Weitreichende politische Entscheidungen sind also unverzichtbar, um mit den psychischen Folgen des Klimawandels umgehen zu können?

Wenn wir damit rechnen müssen, dass der Klimawandel zu einer stärkeren Beanspruchung unseres Gesundheitssystems führt, ist die Vorbereitung darauf nicht nur eine ärztliche oder medizinische Entscheidung, sondern natürlich auch eine politische. Politik schafft zumindest die Rahmenbedingungen dafür, dass wir unser Gesundheits- und Versorgungssystem an die neuen Verhältnisse anpassen können.

Interview: Nina Hensch

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