Zeiten, in denen sich eine ganze Nation fragt, was genau denn Satire nun eigentlich darf und was nicht, ja, Zeiten, in denen die wahnwitzige Situation entsteht, dass die Bundeskanzlerin über die nahe Zukunft von Jan Böhmermann entscheidet, das sind Zeiten, in denen man in einer Dortmunder Hafenschänke Altbier trinken kann. Vom Fass. Moment. Was? Doch, ja. Die Welt steht Kopf, zumindest ein bisschen. Aber nochmal von vorne.
Jeden dritten Montag im Monat feiert das subrosa seine Slam-Kultur, die hier Jam-Kultur heißt. So wie eben Dortmund einen Hafen hat und mit ihm eine Hafenschänke. Die wiederum fügt sich vollkommen selbstverständlich ein in die deutsche Doppelhaushälften-Architektur der nahen Nachbarschaft und mimt nach innen wie nach außen das bisschen Reeperbahn, das dem Ruhrgebiet manchmal zu fehlen scheint. Rotes Licht, Rock-Musik, Bier und Longdrinks. Hier wird also heute gejammt, gejazzt, hier wird man frech und laut und vielleicht auch verletzlich sein.
Welche Bedeutung Jan Böhmermann und sein plötzlicher Feldzug durch die gesetzlichen Metaebenen der bundesdeutschen Verfassung haben, zeigt sich gleich zu Beginn der Veranstaltung, als sich Moderator Grobi mit Gafferband Hände und Mund verbinden lässt – um sich dann, Sekunden später, nicht weniger plötzlich zu befreien. Ein klares Statement, das keiner weiteren Erklärung benötigt. Und doch, eine rein sprachliche Ergänzung: Wenn Erdogan das ist, was u.a. im verbotenen Schmähgedicht angedeutet wurde, muss man Merkel mit „äää“ schreiben. Bämm. Jetzt erst recht!
In Dortmund geht man in die Vollen. Aber auch nur in diesen ersten fünf Minuten. Auf die symbolische Befreiung von Satire und Meinungsäußerung folgen Texte, deren Verfasser sich der Bedeutung und Möglichkeiten ihrer künstlerischen Freiheit nicht bewusst sind. Sie sind artig, in allem, was sie tun. Von der Idee des poetisierenden Slam-Jams gar nicht weit entfernt, bleiben sie erst einmal bei sich: Da gibt es den Pädagogen, der seine Schwächen nach außen kehrt und persönliche, verstörende Begegnungen mit Kindern vorträgt; da ist die Fortsetzung eines Loriot-Gedichtes, das, rechtlich gesehen, doch eine spannende Sache wäre. Und ein als Rocker angekündigter Jammer, der die erste Runde und das vorhandene Publikum nutzt, um seine kürzlich gescheiterte Beziehung zu verarbeiten – oder um einfach mal ein bisschen rumzuschreien. Gedanken zum Tag und zur Nacht folgen, es geht um Zeit, um Bäume, denen man beim Wachsen zusehen kann oder möchte. Ja, Poesie hat es schwer, sobald sie als Prosa daherkommt, erst recht an einem Ort wie diesem. Für einige Zeit wird man das Gefühl nicht los, ein paar Bockspringer versuchten sich am Trapez. Aber gerade als man diesen, zugegeben einigermaßen vernichtenden, Gedanken denken will, äußert sich ein ganz anderer Verdacht: Zwei Einstellungen, zwei Ansichten, ja, zwei Entscheidungen kommen hier zum Tragen. Zum Einen Böhmermann, der uns bereits durch sein Varoufake und den letzten, noch nicht ganz durchgestandenen Coup, einmal mehr bewies, dass die Realität nur die Ableitung der Stammfunktion Leben ist, und zum Anderen, tata, das Ruhrgebiet. Hier gelang Authentizität schon immer durch Improvisation, durch das, was einfach gemacht wurde, durch die aufrichtige Imitation von andernorts Gesehenem.
Und so geht es im subrosa gar nicht ums Slammen. Es geht auch nicht so richtig um Poetry, vielleicht auch nicht ums Jammen. Hier gibt es kein Applausometer, keinen Beef, keine Hater, kein Battle. In die nächste Runde kommt, wer nach der Zigarettenpause noch da ist, und einen Sieger gibt es auch nicht. Freiheit ist das, was man tun kann. Deshalb ist es am Ende des Tages auch nicht überraschend, dass ein fast sechsminütiges Gedicht auf Polnisch vorgetragen wird. Zuhörer und Beteiligte sind begeistert, eigentlich könnte das jetzt auch Klingonisch sein, merken würde es niemand. Aber darum geht es auch nicht; weder um’s Merken, noch um’s Passen oder um’s Verstehen. In dieser Dortmunder Hafenschänke, dieser St. Pauli-Exklave, werden Poetry und Jam – und die Meinungsfreiheit obendrein – ad absurdum geführt. Es geht einfach nur ums Dasein, das Publikum sieht das ähnlich wie die Vortragenden. Zugegeben, ganz schön viel Metaebene. Aber bei so viel Aufregung um das, was Satire kann, was gesagt und was auf keinen Fall gesagt werden darf, tut ein solcher Abend der gelebten Narrenfreiheit mal ganz gut.
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