Schon Peter Licht war der Meinung, dass Gesellschaft gar keine so schlechte Idee sei, wären da nicht all die Menschen. Während es dem Kölner Sänger-Phantom genügt, diesen Satz zu singen und daraufhin wieder zu verschwinden – so als wäre er in der Mini-Play-Back-Show in die Zauberkugel getreten, mit dem einzigen kleinen, aber feinen Unterschied, dass er nicht wieder auftaucht – liefert Poetry-Slammer und Kabarettist Patrick Salmen am Abend des 9.5. im Bochumer Bahnhof Langendreer jede Menge Beweise für die Vielzahl der menschlichen Eigenheiten.
„Genauer betrachtet sind Menschen auch nur Leute“ heißt das Programm, mit dem der Sieger der Poetry-Slam-Meisterschaft 2010 derzeit auf deutschen Bühnen unterwegs ist. „Pfiffig“ nannte es so mancher Passant, doch der Mann mit Bart ist nicht nur das, sondern auch unterhaltsam und selbstkritisch. Protagonist seiner Texte ist er selbst und obwohl Salmen den Pinsel in den Händen führt und sich somit leicht zum Slam-Superman machen könnte, verzichtet er darauf. Anstatt den Helden zu mimen oder altklug seine Umgebung mit Adjektiven zu versehen, arbeitet der Rostrotkupferbraunbronze-Autor mit einer Zutat, die eher Kindern eigen ist: Er wundert sich.
Über sich selbst, seine Mitmenschen und die Welt im Allgemeinen. Der gebürtige Wuppertaler hat nicht verlernt, das Besondere, Absurde oder Ulkige jener Situationen zu erkennen, die andere als alltäglich abtun, um mit dem weiter zu machen, was sie auch zuvor beschäftigte. Vielleicht eben weil er nicht „arbeitet“, sondern selbstständig – bzw. „Gespenst“ – ist, hat Salmen die nötige Zeit und Hingabe, sich den Dingen zu widmen, die auch schon andere bedeutende Persönlichkeiten wach hielten.
Ganz konkret geht es um eine der großen Fragen der Philosophie, die von Sokrates und Seneca über Erasmus von Rotterdam bis hin zu Kant und Nietzsche bisher keinen kalt gelassen hat. Ja, genau genommen hat sich das Who is Who in der Geschichte der Philosophie von der Antike bis in die Gegenwart nur mit dieser einen Frage rumgeschert: Was tun? Was tun mit all den Menschen? Oder vielleicht ja: Trotz all der Menschen?
Da ist zum Beispiel der Raclette-Abend: Ein Abend mit befreundeten Pärchen, Jochen-Schweizer-Erlebnis-Gutscheinen und der schleichenden Befürchtung, unbemerkt spießig geworden zu sein. Wann wissen wir, ob wir es sind – wir, die wir einst in die 7. Klasse einer beliebigen Schule gingen und eines auf keinen Fall werden wollten: Wie unsere Eltern. Ist es die Multifunktionsjacke oder doch der Thermomix, der plötzlich in der Küche steht? Ist es die Vorhersehbarkeit zwischenmenschlicher Gespräche und Verhaltensweisen? „Vorurteile über Pärchenabende sind wie Gitarristen vor dem Auftritt – sie stimmen“, meint Salmen und muss selbst lachen.
Möglicherweise zieht er jene Begegnungen magisch an, von denen er heute im Bahnhof Langendreer erzählt. Ihr Reiz liegt in der Unmittelbarkeit, in der plötzlichen Nähe, die das Aufeinandertreffen mit anderen oftmals mit sich bringt. Ob am Dortmunder Hauptbahnhof oder auf Lesereise, ob in Münchner Kneipen oder im eigenen Treppenhaus, ob Patenkind oder Lieblingsmensch: Die menschliche Vielfalt ist grenzenlos und, vor allem: unerwartet.
Das zeigt auch eine Live-Studie zum Thema Teebeutel, die Salmen im Saal durchführt. Denn wer den Beutel einfach in der Tasse lässt, an einem Löffel fein säuberlich aufrollt, ihn mit bloßen Händen ausfringt oder ihn – im „die Welt ist mir egal“-Style – von der Tasse zum Mülleimer trägt und dabei alles volltropft, verrät schon einiges über sich selbst. Das Bochumer Publikum ist ein besonderes, denn die Umfrage fällt erstaunlich divers aus und unterstreicht die Hauptthese des Schriftstellers. Gott hat einen großen Garten.
Nach knapp zweieinhalb Stunden endet der Abend mit einer Darbietung des Schreiners, Salmens Rap-Alter-Ego, das sich für keinen Reim zu Schade ist und auch schon mal zur härteren Sprache greift: „Du bist ein Lappen, Boy, Du hast vergessen zu wischen / Deine Zähne sind wie Duisburg und Bochum, da ist noch Essen dazwischen.“ Spätestens hier erreicht er auch den letzten Misanthropen, für den seine Geschichten bisher nicht unterhaltsam, sondern Horror-Geschichten des Alltags waren. Menschen? So schlimm können die schon nicht sein.
Ein bisschen war es so, als hätte man mit Salmen an der Bar gesessen und nicht in einem bestuhlten Raum voller anderer Menschen, voller Leute. Entsprechend ungern verlässt man seine Welt, denn sie ist geprägt von Leichtigkeit und Wundern, von Ehrlichkeit und Rätseln. Und doch macht sie auch neugierig auf das da draußen, auf all die möglichen, unerwarteten Begegnungen – mit Menschen.
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