trailer: Jetzt sitzen wir vormittags beim Bäcker und trinken Kaffee. Wäre eine Kneipe nicht passender gewesen?
Marock Bierlej: Ich habe überhaupt keine Ahnung, wo es Cafés gibt. Wäre es später, hätte ich auch so einen Treffpunkt vorgeschlagen.
Im Inhaltsverzeichnis finden sich Titel wie „Bierokalypse“ oder „Tresen nach dem Tod“. Wie wichtig ist der Rausch für das Schreiben?
Als Marock Bierlej schreibe ich über Rock und Bier. Drogen und Kunst gehören für mich irgendwie zusammen. Da geht es einerseits um Rebellion, andererseits um den ‚Spaß in den Backen‘.
Das Thema zieht sich aber nicht nur durch deine Anthologie-Texte...
Tims Geschichten haben einen gewissen Lokalkolorit, die spielen explizit in Bochum oder sind in einem studentischen Milieu angesiedelt. Das ist eine Großstadtliteratur der 2000er bis 2010er – moderne Pop-Literatur. Da sind Kneipen Dreh- und Angelpunkt des städtischen, jungen Lebens. Das bildet Tim eben ab. In Bochum ist es insbesondere das Produkt aus der Moritz-Fiege-Brauerei, das oft vorkommt(lacht). Bei Feli spielt es keine so große Rolle. Natürlich geht es bei ihr auch auch um Partys und da gehört Alkohol mit dazu. Aber insgesamt bilden sich viele Künstler ein, sich Inspiration zu verschaffen durch irgendwelche Substanzen. Motörhead war ein Slangausdruck für einen Speed-Konsumenten, der wie so ein Motorblock rattert. Bei Deep Purple hat der Name auch irgendwas mit Drogen zu tun. Reggae und ‚Gras‘ gehören natürlich zueinander. Und was die Expressionisten oder Impressionisten genommen haben, ja...
...sogar bei Schiller hält sich hartnäckig das Gerücht, dass er, als ihm das Geld für Wein ausging, auf verfaulte Äpfel zurückgriff. Diese habe er inhaliert, um in künstlerische Trance zu kommen, so der Mythos.
Genau, er hatte irgendwie seine Schubladen und hat die je nach Stimmung aufgezogen. Bei einem meiner Lieblingstexte habe ich mich auch extra mal mit Wein – weil ich dachte, es wäre ein bisschen mehr ‚Bohème‘ als Bier –und anderem Zeug einfach mal hingesetzt und gewartet, bis es wirkt. Dabei kam ein Text heraus,den ich zu meinen besten zähle und mit dem ich auch schon Titel gewonnen habe. Bei Freunden dieses Humors ist der durchaus beliebt (lacht).
Entsteht dann so ein lustiges Vorwort wie in Eurer Anthologie? Das ist ein Wortwechsel, wie ihn wohl alle Mitglieder von Chat-Gruppen kennen.
Das Vorwort ist ein authentischer Chat. Wir haben lange überlegt: Erst wollten wir einen bekannten Autor fragen. Frank Goosen war mal bei uns im Publikum und hat Feli sein persönliches Lob ausgesprochen hat. Dann dachten wir, fragen wir ihn doch mal. Aber irgendwie kommt man nicht zu ihm persönlich durch, sondern nur über das Management, weswegen wir entmutigt waren. Und die Zeit war ohnehin zu knapp. Dann haben wir einen Facebook-Chat eröffnet und innerhalb von zehn Minuten hatten wir unser Vorwort.
Über Chats musstet Ihr sicherlich viel Organisatorisches klären, da Ihr das Buch selbst herausgegeben habt. Ist das Selfpublishing ein Zukunftskonzept?
Man sollte natürlich realistisch sein, was man damit erreichen kann. Kurzgeschichten als Sammlung kann man natürlich auch einem Verlag zuschicken, aber die verkaufen sich nicht. Das sind meistens Kolumnen oder so von erfolgreichen Autoren. Mit einem Roman kann man es natürlich bei einem Verlag versuchen. Da muss man abwägen: Kleine Verlage bringen dich oft nicht weiter, als wenn du es selber machst. Und Selfpublish-Büchern haftet immer noch an, dass es eh nichts sei. Und ja, neunzig Prozent dieser Bücher sind scheiße. Das liegt aber daran, dass 90 Prozent von allem scheiße ist. Auch von dem professionell Herausgegebenen.
Der Buchumsatz geht seit Jahren zurück. Paradoxerweise besuchen gleichzeitig immer mehr Menschen Lesungen. Autoren wie Sven Regener oder Benjamin von Stuckrad-Barre füllen ganze Säle.
Es ist cool, wenn Autoren zu einer Art Rockstar werden. Dazu gehört auch ein Event-Charakter. Literatur kann Menschen mobilisieren. Das merkst du an Poetry Slams, die in den letzten Jahren sehr politisch geworden sind. Sehr links. Weg vom Humoristischen wie noch vor einigen Jahren, hin zu einer Art von Verlautbarungsbühnen. Und der Medienkonsum wird immer visueller. Auf Youtube werden die Sachen vorgelesen oder performt. Der Text ist aber immer noch da. Wenn Leute weniger lesen und Literatur auf andere Weise konsumieren, ist das nichts Schlimmes.
Steht Ihr als Lesebühne für diesen Trend?
Unser Konzept ist, dass wir uns Bochums „exuberante Causerie“ nennen. Dafür haben wir im Fremdwörterbuch nachgeschlagen: Eine Causerie ist eine intellektuell-künstlerische Debattierform. Ich nenne es gerne Show, weil es viele Elemente daraus hat, etwa Spiele aus dem Late-Night-Format. Musik haben wir auch drin. Das geht also von Romanauszugs-Lesungen, über Poetry Slam bis hin zu interaktiven Rumblödeleien mit Worten.
Du selber lebst mittlerweile in Frankreich und ziehst später nach Georgien. Um dich für einen Roman inspirieren zu lassen oder das Leben als „Digital Native“ auszukosten?
Ein Roman ist natürlich eine langfristige Vision. Tatsächlich habe ich dafür aber keine konkreten Pläne. In der nächsten Zeit will ich erst mal meine Reiseeindrücke festhalten. So was lese ich selber gerne, vor allem Reiseberichte aus dem 19. Jahrhundert oder früher. Da war das Reisen noch was Anderes. Heute will man ja nicht mehr unterwegs sein, sondern irgendwo ankommen. Davon will ich weg. Man hat auf der Reise mehr Eindrücke. Ich plane einen Blog, etwa über das, was ich auf dem französischen Schloss, in dem ich gerade lebe, erfahre. Später dann über Georgien mit seiner faszinierenden Kultur.
Zurückgezogen auf dem Schloss – klingt als würdest Du die Ergebnisse später bei einer Wasserglas-Lesung in der Stadtbibliothek präsentieren
Eine Wasserglas-Lesung soll es nicht werden. Dem Event-Charakter des Literarischen will ich treu bleiben. Wenn ich wiederkomme, will ich eine laute, krawallige, launige Reiseberichts-Show daraus machen. Im Falle von Georgien etwas mit einer kaukasischen Tanztruppe. Warum soll ich denn von Tänzen erzählen, wenn sie da tatsächlich mit Säbeln rumfuchteln können?
Das ist was dran.
Mit Musik, mit Bildern, mit Videos, mit...
...mit georgischem Wodka?
Genau.Tschatscha heißt der. Und Chatschapuri gibt es, das ist die georgische Pizza mit Käse und Ei. Und...
...und viel Fiege?
In Georgien gibt es ungelogen, leider, auch Oettinger (lacht).
Zum Buch
Jeden dritten Mittwoch lädt das Trio aus Tim Szlafmyca, Felicitas Friedrich und Marock Bierlej zur Lesebühne „Wir müssen r3den“ im Café Eden ein. Die Anthologie „Wir müssen lesen“ versammelt die bisher vorgetragenen Texte und Gastbeiträge von Poetry Slammern wie Daniel Wagner oder Christofer mit F.
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