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Unter dem Pflaster liegt der Strand
Foto: Francis Lauenau

Sage mir, wo du tanzt, und ich sage dir, wer du bist

30. August 2012

Subjektiver Bericht aus dem Nachtleben einer ökologisch traumatisierten Frau – Thema 09/12 Green Clubbing

Ich bin kein Schwein. Naja, so gut wie nie! Ab und zu bin ich ein Fisch und manchmal bin ich auch ein Hühnchen … aber meistens bin ich Gemüse. Reifes, ist klar. Bin ja fast schon Friedhofsgemüse. Kennen Sie doch, den Spruch: Der Mensch ist, was er isst. Ist klug! War klug … greift heute aber nicht mehr so richtig. Wir sind nicht mehr nur, was wir essen, wir sind auch, was wir cremen, wählen, fahren und wohnen. Ich habe Glück. Wenn ich mich bei diesem Überangebot nicht mehr so richtig zuordnen kann, dann habe ich als Orientierungshilfe Kinder. Und die fanden seinerzeit bei dem asozialen Netzwerk studiVZ, sie seien Kinder einer: Ökohippieesoterikmutter! Tja, wo sie Recht haben, ihren Vater hatte ich mir damals in einer drogenrauchalkoholfreien, lächelintensiven Bhagwan-Disco gefangen. Habe ich ihnen nie so genau erzählt. War auch nicht so ’ne lächelintensive Ehe. Zwar drogenrauchalkoholfrei, aber auch freudfrei. Hat nicht gehalten.

Heutzutage bin ich deswegen vorsichtig, wenn ich tanzen gehe. Als mich eine Freundin fragte, ob ich mitkomme in eine „grüne“ Disco, habe ich gegrinst und gesagt, dass ich erst nachsehen muss, ob ich meinen Gorlebenparka, mein Make-love-not-war-T-Shirt und meine Birkenstocksandalen noch irgendwo habe. Sie war entsetzt, wie wenig ich auf dem neuesten Stand bin. Das sind gaaanz veraltete Klischees, hat sie doziert. Das weiß ich natürlich. Ich war vor einiger Zeit auf einer großen Party der Grünen (also jetzt der Partei), da waren alle schick und jeder, aber auch jeder hat zwischendurch mal eben auf seinem iPhone nachgeguckt, ob es ihn noch gibt. Von dieser Party damals bin ich mit Kieferschmerzen nach Hause gewankt … hatte zwischendurch Gähnkrämpfe. Alle waren sich so einig, alle waren so positiv und trotz aller Einigkeit waren auch alle sehr aufgeregt, dass der große Cem und die großegroße Claudia auch da waren. Zu viel Aufregung macht wohl müde, ich konnte nicht schnell genug nach Hause taumeln.

Man konnte durch heftiges Hüpfen auf beweglichen Bodenplatten selber Strom erzeugen
Jetzt sind meine Kinder so groß, dass ich wieder locker riskieren kann, einen Abend bei schlechter Musik in Ökokleidung abzutanzen, ohne dass ich hinterher den Babysitterkosten hinterherweine. Also bin ich, ganz normal gekleidet, mitgegangen in eine „grüne“ Disco – und war enttäuscht. Alle sahen genauso normal aus wie ich, es roch nicht nach Patschuli, die Musik war angenehm bunt gemischt, genauso wie das Publikum. Gut, der Strom war öko, die Klospülung brauchwasserbetrieben und auf der Tanzfläche konnte man durch heftiges Hüpfen auf beweglichen Bodenplatten selber zusätzlichen Strom erzeugen. Hat aber gar nicht wehgetan. Der Abend war nett, ich geb’s zu. Einzig ich selbst war ein bisschen verkrampft. Hatte Angst, mir wieder einen neuen Mann zu schießen. Wäre gar nicht nötig gewesen, fiel mir hinterher wieder ein. Hatte ganz vergessen, vorher auf meiner Facebook-Seite nachzugucken. Dann hätte ich nämlich gesehen, dass ich in einer festen Beziehung lebe. Hach, Gott sei Dank!

Lioba Albus

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