Mangelnder Mut lässt sich Dortmunds Intendant Jens Daniel Herzog wirklich nicht vorwerfen. Vor gut einem Jahr nahm er mit Bellinis „Norma“ ein Primadonnen-Stück auf den Spielplan, welches von Stadttheatern aus gutem Grund gemieden wird, und nun ist es Verdis „Troubadour“, von dem Enrico Caruso einst behauptete, man brauche es einfach nur mit den vier besten Sängern der Welt zu besetzen, um eine gute Aufführung zu erhalten.
Allerdings fehlt es der Dortmunder Oper eindeutig an Budget, um die Weltelite nach Westfalen zu holen. Dass dies aber auch gar nicht nötig sein muss, und dass es sogar spannender sein kann, junge, noch nicht so bekannte Sänger zu entdecken, bewiesen sowohl die junge Miriam Clark als Norma als auch die beachtlich gute Solistenriege, die nun im Dortmunder Troubadour auf der Bühne steht. Susanne Braunsteffer (Leonora), Hermine May (Azucena), Sangmin Lee (Graf Luna) und Stefano La Colla (Troubadour) beweisen einmal mehr die glückliche Hand Herzogs bei der Zusammenstellung seiner Besetzungen.
Den gängigen Erwartungen entsprechen indes vor allen die Frauen nicht unbedingt. Besonders auffällig ist dies bei Hermine May, die für ein rachsüchtiges altes Weib wie die Zigeunerin Azucena deutlich zu sympathisch wirkt und gesanglich zuweilen überraschend lyrisch und sanft klingt. In geringerem Maße gilt dies auch für „Leonora“ Susanne Braunsteffer, die in den hochdramatischen Momenten das letzte Quäntchen Biss und Schärfe vermissen lässt. Indes hat sich Kapellmeister Lancelot Fuhry mit den Dortmunder Philharmonikern auf die sanften Seiten der Solistinnen eingelassen, und so ergeben sich in der Musik keine allzu großen Diskrepanzen. In jedem Fall wiegen die Qualitäten der Solistinnen das Manko auf. Hermine May verfügt über ein reizvolles, facettenreiches Mezzo-Timbre und eine sichere Technik, Susanne Braunsteffer besticht durch einen jugendlichen Schönklang und natürlichen Gestus bis in die Spitzentöne. Stefano La Colla ist ein Tenor mit Strahlkraft und Feuer, der sein Hohes C am Ende des dritten Aktes mit vitaler Präsenz über die Rampe bringt. Bariton Sangmin Lee ist stimmlich ein mindestens ebenbürtiger Widersacher, wirkt leider nur als Darsteller ein wenig hölzern.
Auf Seiten der Inszenierung sperrt sich wie schon die „Norma“ nun auch der „Troubadour“ gegen eine stringente Umsetzung. Intendant Herzog belässt es dennoch nicht bei einer konzertanten Aufführung, die sicher weniger Aufmerksamkeit gefunden hätte. Bei Hausregisseurin Katharina Thoma liegt die Aufgabe in sicheren Händen. Ihre Ansätze zur Aktualisierung sind konkret genug, um interessant zu sein, aber offen genug, um der Logikfalle zu entgehen. Mit Bildeinblendungen und den Kostümen von Irina Bartels werden Bezüge geschaffen zum Spanischen Bürgerkrieg und aktuellen Nahostkonflikten. Eine plausibel nachvollziehbare Geschichte lässt sich aus dem „Troubadour“ nicht stricken. Das schafft auch Thoma nicht und vermeidet glücklicherweise die Brechstange.
„Der Troubadour“ I 6.4. 19.30 Uhr I Oper Dortmund I 0231 502 72 22
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