Nur auf den ersten Blick erinnert die Anordnung der stereometrischen Objekte an provisorische Situationen in Lagerhallen – zu fein sind die Formen, zu genau aufeinander abgestimmt: Daraus ergibt sich kein Un-Ort, vielmehr eine sorgfältig arrangierte Szenerie, atmosphärisch ein bisschen wie ein mittelalterlicher Klostergarten. Die Installation, die der israelische Bildhauer Nahum Tevet im Kunstmuseum Bochum errichtet hat, ist offen für viele Deutungen, schon dadurch, dass sie mit dem Wechsel des Standortes wieder ganz anders aussieht. Tatsächlich beschränkt sie sich auf wenige Grundformen, die sie – ebenso wie die Farbtöne – variiert. Es gibt unzählige Bildhauerkollegen, die Felder aus Alltagsgegenständen, einem daraus abgeleiteten oder erfundenen Vokabular errichten, aber so leicht und hingehaucht wie nun bei „Several Things“ (2006-2015) gelingt es selten.
Die Einzelformen lassen an Gefäße und an Möbeldesign denken, auch an Architektur. Als weiche Ovale oder kantige Gestelle, gezimmert in Sperrholz, wirken sie „wie Vorschläge, wie Schatten oder Pläne für ein Objekt“, wie Nahum Tevet sagt. Und sind diese Elemente nicht auch als Malerei zu verstehen? Tevet berichtet, dass er von einem Maler ausgebildet worden sei zu einer Zeit, als in Israel die Sperrholzplatte als Bildträger eine Alternative zur Leinwand war. Viele seiner Objekte nun sind einheitlich und dicht in einem Farbton überzogen. Dieser ist licht, zugleich pastellartig. Ein angenehm künstliches Volumen liegt auch dann vor, wenn Gestänge einen leeren Raum umschreiben. Das Ensemble greift dabei die Proportionen des Ausstellungsraumes auf, wobei es Platz zum Vorbei- und Durchlaufen lässt und auf ein Raster hin aufgebaut ist. Aber Tevet geht spielerisch mit jeder Systematik um, schon indem er einzelne Elemente an die Wand lehnt und das Raumgebilde als übergeordnete Form versteht.
„Several Things“ ist nicht Tevets einziger Beitrag im Kunstmuseum Bochum, und er stellt auch nicht alleine aus. Vielmehr ist dies eine Doppelausstellung mit Olaf Holzapfel (geb. 1969 in Görlitz), der hier noch Tevets Werke kommentiert, indem er als mögliche Referenz den israelischen Junkyard vorstellt. Dabei handelt es sich um eine Sonderform des Kindergartens innerhalb des Kibbuz. Im Junkyard spielen die Kinder mit ausrangierten Gegenständen. Sie ertasten den „Schrott“, bauen ihn auseinander und nehmen seine Substanz und Farbigkeit für sich wahr: Nahum Tevet, der 1946 im Kibbuz Mesilot bei Tel Aviv geboren wurde und seit seiner Teilnahme an der documenta 1987 auch hierzulande bekannt ist, hat einen solchen Kindergarten besucht.
Wie der Junkyard konkret „funktioniert“, zeigen in der Bochumer Ausstellung Olaf Holzapfels Film und Interview mit Malka Haas, der Gründerin dieses Kindergarten-Konzeptes. Derartige Recherchen aber bilden das Fundament seiner künstlerischen Arbeit überhaupt. Er betreibt an verschiedenen Schauplätzen auf der Welt Feldforschung, um spezifische Strukturen im öffentlichen Bereich freizulegen. Er nimmt Raster und lokale Farben als Ausgangspunkt seiner Werke. In ihnen reflektiert er – und das hat er mit Tevet gemeinsam – Design, Architektur, vielleicht auch Phänomene der Stadtplanung. Am eindrucksvollsten gelingt dies in der Ausstellung in den großformatigen Wandarbeiten zwischen Fotografie, Malerei und Skulptur, die ein flimmerndes Geschehen beschreiben: Ausgehend von einer teils homogenen, teils variierenden Struktur erheben sich Blättchen, die an Fassaden mit Lamellen erinnern. Ärgerlich wird es allerdings, wenn sich Holzapfel allzu stark mit Tevets Konzeption berührt. Seine eigene Bodenskulptur aus kippenden Flächen ist für sich ganz okay, an die Sensibilität und den Reichtum von Tevets Installation aber reicht sie nicht heran.Schade drum.
„The Rough Law of Gardens“ | bis 25.10. | Kunstmuseum Bochum | 0234 910 42 30
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